Sage: Die diebische Elster
Ende des 19. Jahrhunderts blühte der Tourismus und das Kurwesen in Höchenschwand auf. Viele, vor allem reiche Leute, kamen in den Schwarzwald in die „Sommerfrische“, um sich zu erholen und dem Gestank und dem Rauch der Städte zumindest für eine gewisse Zeit zu entfliehen. Angelockt wurden sie von der viel gerühmten Alpensicht und den stillen und geheimnisvollen Wäldern. In kürzester Zeit verwandelte sich das ärmliche Bauerndorf in einen modernen Kurort mit Gasthäusern und Sanatorien. Der größte und bekannteste Anziehungspunkt war das Hotel Höchenschwand, das heutige Kurhaus.
Um die anspruchsvollen Gäste bei Laune zu halten wurden Konzerte, Bälle und festliche Bankette veranstaltet. Die edle Herrschaft brachte deshalb ihre schönsten Kleider und den teuersten Schmuck mit, um ihre Wichtigkeit zu unterstreichen.
Eine vornehme Dame kam regelmäßig hierher. Sie war verwitwet und hatte eine Menge Geld geerbt. Sie genoss die Unterhaltung aber auch die Ruhe hier im Schwarzwald. So machte sie jeden Nachmittag einen Mittagsschläfchen und öffnete dabei weit das Fenster, was in der Stadt nie möglich gewesen wäre, und ruhte.
Eines Tages fiel ihr nach ihrem Mittagschlaf auf, dass ein Ring und eine Kette fehlten. Sie suchte das ganze Zimmer ab, konnte jedoch nichts finden. Sofort hatte sie das Zimmermädchen im Verdacht! Diese kam aus dem Ort und war dem Haus seit langem eine treue Seele. Man untersuchte ihre Kammer und sie beteuerte, den Raub nicht begangen zu haben. Der Hoteldirektor glaubte ihr, doch der Ring blieb verschwunden. Die reiche Witwe reiste empört ab.
Einige Wochen später ereignete sich ein ähnlicher Zwischenfall. In einem anderen Zimmer war die teure Taschenuhr eines ehemaligen Generals verschwunden. Wieder wurde das gleiche arme Zimmermädchen verdächtigt und wieder wurde nichts gefunden. Der Hoteldirektor schäumte vor Wut. Das verzweifelte Zimmermädchen fürchtete um Stellung und Ruf.
Einige Tage vor Saisonende war schon wieder ein Schmuckstück verschwunden. Dieses Mal war das Zimmermädchen allerdings nicht im Haus gewesen und niemand anderem konnte der Diebstahl nachgewiesen werden.
Dem Hoteldirektor wurde es langsam zu bunt. Er ließ das gesamte Hotel absuchen, jede Kammer, jedes Versteck vom Stall bis auf den Speicher. Doch ohne Erfolg.
Im Jahre darauf wurde im angrenzenden Kurgarten ein großer alter Baum gefällt. Er hatte große Äste, in denen gerne Vögel nisteten. Als der Baum fiel, flog aus der Krone ein leeres Nest auf den Boden. Alle verschwundenen Schätze und etliches mehr waren rund um den Baum verteilt.
Ein schwarzweißer Vogel flog zeternd und empört davon. Der Dieb war enttarnt. Es war die diebische Elster!