Magdalena Ganter
Taram-tam-tam-tam: Magdalena Ganter ist eine virtuose Gefühle-Vertonerin, ihre Songs sind geprägt von feinen Melodien, kreativ-eigenwilligen Texten und der gar nicht zu überschätzenden Gabe zu berühren. Nach fast 20 Jahren in Berlin ist die Musikerin seit 2022 zurück in ihrem Heimatort Hinterzarten. Im Interview erzählt sie von der Entstehungsgeschichte ihres neuen Albums „Transit“, spricht über Prägendes, Erlebtes, Werdendes und die Rolle des Schwarzwalds dabei.
Liebe Magdalena, Du kommst aus einer Schaffer- und Unternehmerfamilie, die Zimmerei Ganter in Hinterzarten gibt es seit 1891. Bist Du heute als Kulturschaffende die Exotin der Familie oder hast Du deine Handwerkskunst einfach in ein künstlerisches Gewand gekleidet?
Ganter: Auf eine Weise bin ich ein Paradiesvogel, aber obwohl bei uns immer viel gearbeitet wurde, habe ich die künstlerischen Gene ganz klar von meiner Familie mitbekommen. Mein Urgroßvater mütterlicherseits war Holzbildhauer und hat Skulpturen geschnitzt. Bei Familienfesten wurde bei uns zünftig Hausmusik gemacht, mein Vater spielt Akkordeon, ein Onkel Tuba, ein anderer Onkel Trompete, getrommelt wurde auch immer. Musik war bei uns zuhause selbstverständlich. Ich habe schon immer gerne gesungen, getanzt, mich inszeniert und meinen Spieltrieb ausgelebt.
Bei Euch zuhause gab es beispielsweise ein Musikzimmer. Wie wichtig sind Freiräume und Freiheiten, um seinen Weg ins Künstlerleben zu finden?
Ganter: Freiräume sind ganz elementar zur Entfaltung für jeden Menschen. Ich hatte das Glück, mit vier Generationen unter einem Dach aufzuwachsen. Wir hatten ein Musikzimmer mit Klavier und Schlagzeug und durch die angeschlossene Zimmerei gab es einen stetigen Geräuschpegel, so dass es keinen gestört hat, wenn ich musiziert habe. Meine Eltern haben uns ohnehin sehr viele Freiheiten gelassen, wir konnten uns frei entwickeln und uns ausprobieren, das war ein großes Glück! Und ich hatte immer wieder Lehrerinnen und Lehrer, die mich gefördert haben.
Du hast an der Universität der Künste in Berlin Tanz, Gesang und Schauspiel studiert und knapp 20 Jahre in der Hauptstadt gelebt, ehe Du 2022 wieder nach Hinterzarten zurückgekommen bist. Welche Rolle spielt der Schwarzwald an Deinem Werdegang?
Ganter: Eine große Rolle. Im wilden Großstadt-Dschungel habe ich mich sehr bewusst mit meiner Heimat und meinen Wurzeln auseinandergesetzt. Ich habe die Band Mockemalör gegründet, unser erstes Album 2013 hieß „Schwarzer Wald“ und ich habe im alemannischen Dialekt gesungen. In diesem Zuge habe ich sehr viele Gespräche mit meinem Großvater geführt, das war allein inhaltlich spannend, aber ich habe auch angefangen, den Dialekt und seine Aussprache genauer wahrzunehmen. Für eine Beobachtung bin ich meinen damaligen Bandkollegen Martin Bach und Simon Steger sehr dankbar, die feststellten: Wenn ich auf Alemannisch gesungen habe, kam ein anderes Timbre in meine Stimme und etwas Ureigenes zum Schwingen. Da waren Tiefe, Wärme und Reichtum in meiner Stimme – Erdung und Verwurzelung sind gute Worte dafür. Und ich begreife immer mehr, was für eine Kraftquelle das ist. Ich war meiner Heimat immer sehr verbunden, ich wusste auch in meiner Zeit in Berlin, dass ich irgendwann wieder zurückkommen möchte, ich habe hier ein großes Familiennetz. Ich liebe die Natur, ich bin so gerne hier im Wald, das ist wichtig für meine Seele. Immer, wenn ich aus Berlin wieder in der Heimat war, bin ich mit als erstes zum Mathisleweiher gelaufen, das ist mein heiligster Ort.
Hat der Blick von außen also Dein Bewusstsein geschärft?
Ganter: Ich würde es fast schon eine spirituelle Komponente nennen, die der Schwarzwald für mich darstellt. Diese Urkraft, diese Anbindung an meine Vorfahren, an meine Familie, an die Geschichte, die dem Ort hier innewohnt. Das habe ich bewusst erst in der Zeit so wahrgenommen, als ich nicht mehr hier gelebt habe. Und noch mehr schätzen gelernt und begriffen, dass ich das wirklich brauche.
Deinen schon angesprochenen Spieltrieb hast Du lange ausgelebt bei Theaterengagements. Fehlt dir das Spielerische oder integrierst Du es in deine jetzige Kunst als Musikerin?
Ganter: Ich habe mir neulich wieder ein reines Sprechtheaterstück angeschaut und mir danach gedacht: Ich spiele so gerne, ich schlüpfe gerne in Rollen, aber ich brauche kein Theaterstück dafür. Es macht mir Freude, mich Emotionen hinzugeben und einzutauchen in Geschichten. Die Geschichten schreibt aber mein Leben. Dafür brauche ich kein fremdes Theaterstück. Ich erlebe genug. Es macht mir Freude, dieses Erlebte niederzuschreiben und im Idealfall andere Menschen damit zu berühren. Aber es hat mich viel Überwindung und Mut gekostet, den Musik-Weg zu gehen. Die existentiellen Nöte und die Angst, die damit verbunden ist, auf eine Art hinter sich zu lassen.
Bei Deinem ersten Soloalbum „Neo Noir“ von 2021 gab es die Angst vorm Scheitern, Du hast den Erscheinungstermin zweimal verschoben. Auf dem neuen Album „Transit“ finden sich tolle Songs und Zeilen, die sagen: „Alles ist eine Übung“ und ruhig mal „heiter scheitern“. Ist das deine Lebenserfahrung, die Du in die Platte hast einfließen lassen?
Ganter: Heiter scheitern – ich versuche es auf jeden Fall (lacht)! Es ist ein steiniger Weg, vor allem, mit der Kunst Geld zu verdienen. Aber es gibt mir so viel! Ich bin in meinem Element, wenn ich Musik machen und auf der Bühne stehen kann. Aber es gibt auch immer wieder Momente, wo ich das in Frage stelle. Das ist gut und wichtig. So navigiere ich immer wieder neu und hinterfrage auch.
In Bezug auf den Musik-Weg erinnere ich mich an einen sehr konkreten Transformations-Moment: 2011 – es gibt auch das gleichnamige Lied auf dem ersten Album von Mockemalör – hatte ich mehrere Theaterengagements gleichzeitig, war danach überarbeitet und erschöpft. Ich war dann drei Wochen bei meiner Familie und habe mich zum ersten Mal so richtig gefragt: Wie will ich eigentlich leben? Möchte ich die nächsten 20 Jahre von Engagement zu Engagement und von Stadt zu Stadt pendeln? Mir wurde bewusst, dass ich irgendwann Wurzeln schlagen und im übertragenen Sinn trotzdem Flügel haben möchte. Natürlich habe ich mir auch immer die Fragen gestellt, was ich eigentlich zu erzählen habe, wer das hören will, ob das stark genug ist, ob ich überhaupt die Berechtigung habe, Kunst zu machen. Und damals wurde mir klar, dass das nachvollziehbare, aber die falschen Fragen sind: Musik macht mir einfach so große Freude, ich will und muss diesen Weg auf jeden Fall ausprobieren.
Wie ging es dann weiter?
Ganter: Ich habe bewusst Theaterengagements abgelehnt, um Raum zu schaffen fürs Musikmachen. 2013 erschien das erste Album mit Mockemalör, wir haben die ersten Touren gespielt, die Resonanz war so positiv, dass wir da weiter angeknüpft haben. Durch den alemannischen Dialekt waren die Texte auf eine Art verschlüsselt und wir waren zu dritt auf der Bühne – bei meinem Soloalbum „Neo Noir“ hatte ich dann aber zum ersten Mal die alleinige Verantwortung für alles, was ich da verkünde. Das war nochmal ein Schritt hin zur Unabhängigkeit, der mir viel Mut abverlangt hat. Für Neues braucht es immer Überwindung, aber ich habe auch immer etwas dazugelernt.
Deinen eigenen Weg zu gehen zeigt sich auch darin, dass Du Co-Produzentin vom Album „Transit“ bist und mit „Neo Noir Records“ auch ein eigenes Label hast.
Ganter: Ja, Unabhängigkeit ist ein Schlüsselbegriff für mich. Und immer wieder ein Kampf – seit ich Mutter bin, jonglieren wir als Familie viel mit der Zeitaufteilung. In meiner Musik möchte ich Themen künstlerisch Ausdruck verleihen, die mich bewegen. Durch mein Muttersein frage ich mich zunehmend: In was für einer Welt möchte ich leben und was für eine Welt wünsche ich mir für meine Kinder? Was braucht es dafür? Und was kann ich dazu beitragen, um diese Welt so zu formen und in eine gute, heilsame Richtung zu bewegen? Da ist viel zu tun, weil so viel im Argen liegt. Ich hoffe und wünsche mir, dass ich durch meine Musik und meine Worte Menschen berühren und ihnen etwas Positives mitgeben kann.
„Transit“ ist ein sehr lebensnahes Album. Die Songs kommen häufig in einem heiteren Gewand daher, erzählen aber trotzdem von den großen Themen, die das Leben ausmachen: Von Glück und Trauer, Geburt und Sterben und all dem Wunderschönen und mitunter Schweren zwischendrin. Ist es ein Konzeptalbum oder wie schreibst Du Deine Songs?
Ganter: In den vergangenen Jahren habe ich im Schreibprozess oft mich beschäftigende Gefühle wie Freude, Glück oder Wut als Ausgangslage gehabt. Mit dieser Grundidee habe ich mich ans Klavier gesetzt und nach und nach ist daraus ein Lied entstanden. Auf „Transit“ gibt es das Stück über Josephine Baker, da war alles viel konkreter: Ich hatte im Vorfeld ihre Biografie gelesen und wollte ihr ganz bewusst ein Lied widmen. Durch unseren durchgetakteten Familienalltag sind meine kreativen Zeitfenster begrenzter als früher. Insgesamt spiegeln die elf Songs des Albums und auch der Titel wider, dass die vergangenen Jahre bewegend und umbruchsreich waren.
Woher kommt Deine große Faszination für die 1920er Jahre, die sich in Deinem Stil, im Albumcover, in Vintage-Equipment, in musikalischen Bezügen zu Chanson, Varieté und Jazz sowie auch im angesprochenen Song über Josephine Baker zeigt?
Ganter: An den 1920er Jahren, an der goldenen Ära, fasziniert und inspiriert mich vor allem das Existenzielle und das Expressive, das Grenzgängerische. Es war eine umbruchsvolle, wilde, auch dunkle Zeit, in der aber viel große Kunst entstanden ist. Die Mode und die Rolle der Frau nicht zu vergessen. In meiner Musik geht es auch um existenzielle, starke, extreme Gefühle. Josephine Baker war eine große Visionärin, eine emanzipierte Frau, sie verkörpert so viel von dem, was mich inspiriert, motiviert und antreibt als Frau. Sie ist eine große Heldin für mich. Sie war so unabhängig und hatte so große, kluge Ideen. Sie war eine fantastische Künstlerin und Performerin, auch clownesk begabt mit viel Humor, das macht mir auch viel Freude. Sie war eine Aktivistin, hat sich für Frieden und gegen Rassismus stark gemacht und hatte einen unglaublich starken Willen. Sie hat im Grunde zu der Zeit die erste Regenbogenfamilie gegründet, indem sie Kinder adoptierte aus verschiedenen Nationen. Sie hat mit ihnen zusammengelebt als Zeichen der Verbindung und des Friedens.
Ich würde es fast schon eine spirituelle Komponente nennen, die der Schwarzwald für mich darstellt. Diese Urkraft, diese Anbindung an meine Vorfahren, an meine Familie, an die Geschichte, die dem Ort hier innewohnt. Das habe ich bewusst erst in der Zeit so wahrgenommen, als ich nicht mehr hier gelebt habe. Und noch mehr schätzen gelernt und begriffen, dass ich das wirklich brauche.
Magdalena Ganter
Du hast mit Mockemalör früher auf Alemannisch gesungen, als Solokünstlerin bislang nicht mehr. Ist das für dich „abgearbeitet“ oder der Versuch, ein breiteres Publikum anzusprechen?
Ganter: Ich habe mir noch nie Gedanken darüber gemacht, wie ich eine größere Reichweite generieren könnte. Ein Radiomoderator meinte mal zu mir, dass ich mir alle Mühe geben würde, keinen Hit zu schreiben, meine Songs würden zu verschachtelt bleiben. Nee, ich hätte gerne mal einen Hit, das würde manches erleichtern! (lacht)
Vom Feuilleton gab es für unser Album „Schwarzer Wald“ großes Interesse, die Journalisten fanden den urbanen Sound mit dem alemannischen Dialekt sehr spannend. In Interviews wollten sie dann aber immer, dass ich Alemannisch spreche. Auf Knopfdruck auf „Schwarzwälder Maidle“ zu machen, das war so aufgesetzt und ich hatte keine Lust dazu. Ich habe knapp 20 Jahre in Berlin gelebt, im Theater wurde mir der Dialekt abtrainiert. „Abgearbeitet“ ist Dialekt für mich aber nicht, ich finde ihn sehr wichtig und schön – und wer weiß, vielleicht schreibe ich auch wieder mal auf Alemannisch, jetzt ist es auch wieder stimmiger für mich. Mein Sohn ist hier im Waldkindergarten und spricht breiten Dialekt, das ist total goldig.
Du hattest in Berlin die Schlüssel zu einem kleinen Jazzclub. Wie sieht es hier im Schwarzwald aus mit der Vernetzung der Künstlerszene?
Ganter: Die Vernetzung mit anderen Kunstschaffenden ist für mich sehr wichtig. Mit der Freiburger Liedermacherin Laura Braun bin ich gerade dabei, eine Musik- bzw. Kunst-Reihe aufzubauen. Ende 2023 und Anfang 2024 habe ich in Hinterzarten bereits Benefiz-Konzerte gegeben und dazu andere Musikerinnen und Musiker eingeladen. Die Nachfrage nach Kultur ist auch im ländlichen Raum auf jeden Fall da, wie beispielsweise auch das „Kleinkunst Festival“ in Breitnau oder die tollen „Bauernhof-Konzerte“ im Dreisamtal zeigen.
Zur Person:
Ursprünglich wollte die in Hinterzarten aufgewachsene Magdalena Ganter (Jahrgang 1986) in Berlin Jazzgesang studieren. Die Aufnahmeprüfung an der Universität der Künste im Bereich Tanz, Schauspiel und Gesang sollte nur eine Vorübung dafür sein – sie wurde aber gleich angenommen. Ihr Talent zu spielen, zu singen und zu tanzen zeigte sie in zahlreichen Theaterproduktionen und Varietéshows in den großen Hauptstädten Europas. 2013 erschien das erste Album „Schwarzer Wald“ ihrer Artpop-Band Mockemalör, es folgten die Alben „Riesen“ (2016) und „Science-Fiction“ (2018). Mit „Neo Noir“ veröffentlichte sie 2021 ihr erstes Soloalbum, Ende September 2024 folgte „Transit“. Seit 2022 lebt Ganter mit ihrer vierköpfigen Familie wieder in Hinterzarten – dort sanieren sie von Grund auf einen Schwarzwaldhof von 1686, ein Mammutprojekt. Für ihr Schaffen wurde die Künstlerin mehrfach ausgezeichnet, sie ist u.a. Hauptpreisträgerin des Kleinkunstpreises Baden-Württemberg (2020).
Konzerttermine im Schwarzwald:
Konzerttermine ihrer deutschlandweiten „Transit“-Tour im Schwarzwald sind:
- 18. Oktober 2024 in Freiburg im „Jazzhaus“
- 15. November 2024 in Bonndorf im „FolkTreff“
- 30. November 2024 in Gaggenau in der „klag-Bühne“
Alle Infos zur Künstlerin und zu den weiteren Konzertterminen unter www.magdalenaganter.de
Interview: Michael Gilg/Schwarzwald Tourismus
Video: Jens Großkreuz/Schwarzwald Tourismus
Bilder: Jens Großkreuz/Schwarzwald Tourismus; Hochschwarzwald Tourismus GmbH; Sackmann/Tourismus Dreisamtal
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