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Herr Prof. Dr. Rosa, wir sind hier im „Schwarzwaldhaus der Sinne“ in Ihrem Heimatort Grafenhausen. Das innovative Erlebnis- und Mitmachmuseum wurde 2014 eröffnet wurde. Bereits 2015 ergänzte der „Zeit-Raum“ das Angebot und 2020 folgte der „Resonanz-Raum“, beide wurden von Ihnen mitkonzipiert. Wie kam es zu der Idee für die beiden Räume und Ihrem Engagement dabei?

Rosa: Die Idee entstand im Gespräch mit dem Holzbildhauer Simon Stiegeler, mit dem ich eng befreundet bin. Er hat das Schwarzwaldhaus der Sinne künstlerisch gestaltet. Wir haben oft darüber nachgedacht, wie und ob man Zeit erlebbar machen könnte. Anfangs war ich etwas skeptisch. Es gibt ja keinen Zeitsinn. Zeit kann man weder sehen, hören, riechen, tasten noch schmecken. Wir haben uns dann mit Matthias Wild zusammengesetzt, der das Mitmachmuseum maßgeblich mitkonzipiert hat und unsere Ideen zusammengetan. Reizvoll fand ich dabei die Kombination aus den einerseits theoretischen Überlegungen, der ästhetischen Gestaltung und der praktischen, museumspädagogischen Umsetzung, die Matthias Wild erarbeitet hat. Weitere Personen aus Grafenhausen haben ihre Ideen eingebracht und mit dem örtlichen Bauhof haben wir das Projekt umgesetzt, so dass es letztendlich eine Gemeinschaftsarbeit aus dem Dorf heraus geworden ist, die uns allen viel Freude gemacht hat. Ich denke, das Ergebnis zeigt, dass es doch funktioniert, über die Erfahrung von Zeit nachzudenken.

Wen will man mit dem „Zeit-Raum“ ansprechen?

Rosa: Der Umgang mit der Zeit betrifft in der Tat alle Menschen. In der heutigen Gesellschaft leiden fast alle darunter. Vor allem, weil sie keine Zeit haben, beispielsweise, weil der Chef sie ständig mit Aufgaben überhäuft oder auch weil man eine notorische Unruhe in sich spürt.

Ist der „Zeit-Raum“ also für Erwachsene konzipiert oder sind die Stationen auch für Kinder interessant?

Rosa: Durch die spielerische Umsetzung, die zum Mitmachen anregt, machen die Stationen allen Generationen Spaß. Im Kern geht es aber darum, über das Verhältnis zu Zeit nachzudenken. Das erfordert ein gewisses Reflexionsvermögen. Ideal ist der „Zeit-Raum“ auch für Schulklassen, die anhand der Stationen gemeinsam über die verschiedenen Dimensionen von Zeit nachdenken. Zum Beispiel darüber, wie ein Tagesablauf aussieht oder womit sie zu viel und womit zu wenig Zeit verbringen.

Welche Aspekte von Zeit veranschaulichen die einzelnen Stationen im „Zeit-Raum“?

Rosa: Wir haben Zeit in fünf Parameter heruntergebrochen: Ein Parameter ist die Dauer und auch die Wahrnehmung der Dauer. Denn wenn wir über Zeit nachdenken, geht es immer um die Frage, wie lang etwas dauern soll. Der zweite Parameter ist die Geschwindigkeit. Also wie schnell eine Handlung oder eine Erfahrung ist. Dafür gibt es den Zeitwahrnehmungsraum, in dem man erfahren kann, wie es sich anfühlt, wenn die Zeit schnell oder langsam vergeht. Der dritte Parameter ist das Timing, also wie bringe ich Dinge im Tagesablauf, im Leben oder im Jahresablauf an die richtige Stelle, was man früher in der Philosophie Kairos nannte - finde den richtigen Zeitpunkt. Und dabei stellt man fest, dass das heute fast nie passiert, weil alles möglichst schnell und möglichst gleichzeitig passieren soll.

Wir haben uns auch damit beschäftigt, wie ein Tagesablauf aussieht und wie er sich historisch verändert hat. Denn das Timing hat sich ebenso verändert wie der Rhythmus, der vierte Parameter von Zeit. War früher das Aufstehen oder Zubettgehen an den Hahnenschrei oder an die Kirchenglocken geknüpft, so gibt es heute dafür keinen festen Rhythmus mehr. Und nicht zuletzt betrachten wir als fünften Parameter die Sequenzierung. Wir zeigen Sequenzreihen und betrachten, wie der Ablauf im Tag, im Leben, im Jahr aussieht. Was mir besonders gut gefällt, sind auch die beiden Sprichwörter im „Zeit-Raum“, die darüber hinaus eine innere Dimension von Zeit ansprechen. Die westliche Weisheit sagt: „Sitz nicht rum, mach was.“ Die östliche Weisheit hingegen sagt: „Mach nicht einfach irgendwas, setzt dich lieber mal ruhig hin.“

All diese Aspekte wollen wir erfahrbar machen, und das haben wir in den verschiedenen Stationen versucht umzusetzen. Mit dem Ziel, überhaupt einen Sinn für Zeitdimensionen zu bekommen, vom einzelnen Leben bis zum Zeitalter des Universums.

Was fasziniert Sie so sehr am Thema Zeit?

Rosa: Was mich motiviert hat, mich mit dem Thema Zeit zu beschäftigen, ist die Frage nach dem guten Leben. Was ich mit meinem Leben anfangen, wie ich mein Leben verbringen will ist letztendlich die Frage danach wie ich meine Zeit verbringen möchte. Also die Verbindung, was machen wir eigentlich im Leben, kommt beispielsweise in dieser Schale im Museum zum Ausdruck, wo man ausprobieren kann, wie man sein Leben ins Gleichgewicht bringt, wie viel Zeit man für Freunde, für die Arbeit usw. aufwendet. 

Somit hat Zeit etwas mit Glück zu tun?

Rosa: Ja, unbedingt. Die Frage nach einem gelungenen Leben ist die Frage nach einer gelungenen Zeiterfahrung.

Was kann der Besucher aus dem „Zeit-Raum“ mit in den Alltag nehmen? Kann ich lernen, wie ich Zeitfresser aus meinem Leben eliminiere?

Rosa: Ich will mich davor hüten, einfache Ratschläge zu geben, das können auch die besten Bücher nicht. Der Besuch im „Zeit-Raum“ kann einem die verschiedenen Aspekte der eigenen Zeiterfahrung deutlich machen und aufzeigen, welche Faktoren mich in Zeitnot bringen. Spielerisch kann ausprobiert werden, wie es aussehen würde, den Tag neu zu strukturieren oder auf das Handy zu verzichten. Der „Zeit-Raum“ gibt vor allem Anstöße für die bewusste Wahrnehmung der Zeit. Er macht uns deutlich, dass Zeit sozial strukturiert und nicht einfach naturgegeben ist und dass es durchaus Handlungs- und Gestaltungsmöglichkeiten gibt.

Als Urlaubsregion interessiert uns natürlich, was es braucht, um Zeit zu genießen. Haben Sie darauf eine Antwort?

Rosa: Zeit ist Geld, sagt man. Das stimmt auch in vielerlei Hinsicht. Aber Zeit kann man nicht auf der Bank anlegen, d.h. Zeit kann man nicht sparen. Das ist die Zeiterfahrung der Moderne. Wir sparen ununterbrochen Zeit mit dem Ergebnis, dass wir zeitärmer werden. Wer zeitreich sein will, muss Zeit verschwenden. Das heißt, sich mal nur einer Sache widmen, einem Patenkind oder einfach einer Tätigkeit. Wer sich dagegen den Tag mit Programm vollpackt, ist wieder in der Hektik. Wandern und Radfahren sind gute Möglichkeiten, um Zeit zu genießen, auch, weil wir uns durch die Langsamkeit der Bewegung auf eine bestimmte Art durch die Welt bewegen. Und plötzlich ist man reich an Zeit.

Die westliche Weisheit sagt: „Sitz nicht rum, mach was.“ Die östliche Weisheit hingegen sagt: „Mach nicht einfach irgendwas, setzt dich lieber mal ruhig hin.“

Prof. Dr. Hartmut Rosa

Ein besonderer Zeitmesser ist die Kuckucksuhr, die zum Symbol des Schwarzwalds wurde. Welchen Einfluss hatte der technische Fortschritt auf die Entwicklung der Zeitmessung?

Rosa: Die ältesten bekannten Zeitmesser sind die Sonnenuhren. Was übrigens dazu geführt hat, dass die Nacht früher ein zeitloser Raum war. Das Gefühl für Zeit entwickelte sich in Abhängigkeit vom Ort. Die Mittagszeit ist dann, wenn die Sonne hoch über einem steht. Erst die Eisenbahn hat die Zeit entkoppelt. Denn entlang der Eisenbahnlinien mussten alle Uhren synchron laufen. Inzwischen ist die Zeitwahrnehmung komplett vom Ort losgelöst. Der technische Fortschritt ist sowohl bei der Zeitmessung wie auch bei der Zeitgestaltung von großer Bedeutung. Dennoch ist es falsch zu sagen, die Technik sei schuld an der Beschleunigung unserer Gesellschaft. Wir könnten die Zeitersparnis des technischen Fortschritts auch nutzen, um wirklich zeitreich zu sein. Denn nicht die Technik nimmt mir die Zeit weg, sondern die Gestaltung der Zeit.

Was für Auswirkungen hat die Digitalisierung auf die Zeit?

Rosa: Früher hatten die Menschen auch viel Arbeit. Aber irgendwann war das Tagwerk vollbracht. Niemand hatte danach noch Erwartungen an sie, weil es nichts mehr gab und man auch nicht die Erwartung an sich selbst hatte, noch etwas tun zu müssen. Das ist Muße. Die Digitalisierung hat dazu geführt, dass Muße überhaupt nicht mehr stattfindet. Beispielsweise lässt sich mit der Entgrenzung des Arbeitslebens, das schon lange vor dem Corona bedingten Home-Office einsetzte, nicht mehr unterscheiden, wann die Arbeit aufhört und die Freizeit anfängt. Mit der Problematik, dass alle Lebensbereiche gleichzeitig andrängen. Deshalb gibt es keine Muße mehr. Im Urlaub suchen wir diese Muße oft wieder. Es gibt Leute, die gehen drei Wochen ins Kloster, oder wandern den Jakobsweg, überqueren die Alpen oder begeben sich auf Fernwanderwege. Ich nenne das Weltreichweitenverkürzung. Man merkt, wie der Tag wieder lang wird und die Welt groß und bunt erscheint. Auch der Urlaub auf dem Bauernhof geht in diese Richtung. Leider machen wir in der Regel den Fehler, dass wir im Urlaub doch wieder einen Internetanschluss brauchen und den Tag mit Programm vollpacken, so dass wir wieder in der Beschleunigung sind.

Wenn Beschleunigung das Problem ist, dann ist die Resonanz vielleicht die Lösung. So lautet die Kernthese Ihres Buches zum Thema Resonanz. Der „Resonanz-Raum“ widmet sich ebenfalls dieser Thematik. Was genau verstehen Sie unter Resonanz?

Rosa: Ich bin oft fälschlicherweise als „Entschleunigungs-Papst“ bezeichnet worden, als ich mich mit dem Problem der Beschleunigung unserer Gesellschaft beschäftigt habe. Das will ich eigentlich gar nicht, und zwar aus zwei Gründen: Zum einen, weil Entschleunigung in dieser Gesellschaft nicht einfach möglich ist und zum anderen, weil Langsamkeit nicht per se ein Selbstzweck ist. Deshalb habe ich mich gefragt, was die Menschen suchen, wenn sie von Langsamkeit träumen. Die Antwort lautet: Die Menschen sehnen sich nach einer anderen Beziehung, zu sich selbst, zu den anderen Menschen und zur Natur. Sie wünschen sich mehr Solidarität statt Konkurrenz unter den Menschen, mehr Achtsamkeit auch im Selbstverhältnis und mehr Nachhaltigkeit im Umgang mit der Natur. Und diese Sehnsucht nach einer anderen Beziehung habe ich mit dem Begriff der Resonanz zu fassen versucht. Und Resonanz hat vier Aspekte.

Der erste Aspekt ist, dass das, womit ich in Beziehung stehe, mich innerlich berührt, also zu mir spricht. Der zweite Aspekt ist, ich gehe dem entgegen, ich antworte darauf und mache etwas damit. Das ist genau diese Wechselwirkung, wo Menschen sich lebendig fühlen. Wodurch wir uns verwandeln, was den dritten Aspekt kennzeichnet. Deswegen träumen wir von Bildungserfahrungen und von Urlaubserlebnissen. Dass wir da mal anders sind oder anders sein können bis hin zur körperlichen Wahrnehmung. Du stehst eben anders im Schwarzwaldtal oder auf dem Feldberggipfel als im Supermarkt oder im Büro. Und das hat eine transformierende Wirkung. Das ist genau das, was wir uns vom Urlaub erhoffen. Man kommt als anderer Mensch zurück. Es ist etwas entstanden, aber ich weiß eben vorher nicht, was da entsteht. Das gehört zur Resonanzbereitschaft, sich auf etwas einzulassen, ohne zu wissen, was dabei herauskommt.  Aber diese Erfahrung kann ich eben nicht planen oder kaufen. Das ist der vierte Aspekt, die „Unverfügbarkeit“.

Glück, gelingendes Leben, Lebendigkeit erfahren wir nicht dort, wo wir Dinge verfügbar machen, sondern dort, wo wir mit etwas Unverfügbarem in Kontakt treten. Die Liebe ist das Paradebeispiel dafür. Der andere bleibt für mich unverfügbar. Wenn ich ihn ganz unter Kontrolle bringe, ist es zu Ende mit der Liebe. Wenn ich mit etwas in Beziehung stehe, das ich nicht kontrollieren, wohl aber erreichen kann, das ist das Tollste.

Was braucht es, um Resonanz zuzulassen? Und was macht es mit uns, wenn wir Resonanz zulassen?

Rosa: Resonanz bedeutet, sich verwundbar zu machen. Ich lasse mich auf etwas Anderes ein, das mich auf eine Weise verändert, die ich weder vorhersehen noch kontrollieren kann. Und diese Unvorhersehbarkeit der Verwandlung steht im totalen Gegensatz zur modernen Logik der parametrischen Optimierung, der wir heute unterliegen. Zeitdruck ist dabei übrigens der Resonanzkiller Nummer eins.

Wandern und Radfahren gehört zu den beliebtesten Urlaubsaktivitäten in unserer Ferienregion. Kann Resonanz auch mit der Natur hier im Schwarzwald stattfinden?

Rosa: Innere Entschleunigung ist die Voraussetzung, um in Resonanz treten zu können. Und Urlaub ist eine gute Möglichkeit dafür. Ich selbst gehe wahnsinnig gerne wandern, durchaus mit der Idee, irgendwo unterwegs etwas essen zu gehen, aber ohne konkrete Planung. Sich sozusagen wirklich den natürlichen Elementen auszusetzen, ohne strikten Zeitplan. Denn eigentlich kann man nur mit einer Resonanzachse eine wirklich intensive Resonanz erzeugen. Wer Natur erleben will, sollte sich wirklich auf die Natur einlassen, vielleicht auch mal alleine wandern gehen. Es macht einen großen Unterschied, ob ich alleine im Wald bin oder mit drei, vier guten Freunden. Denn dann ist das Bewusstsein mehr auf das Gespräch gerichtet als auf die Natur. 

Die Nachfrage von Touristen nach „echten“ Reiseerfahrungen und „authentischen“ Urlaubserlebnissen steigt seit Jahren kontinuierlich. Welche Auswirkungen hat Resonanz auf das Reiseverhalten und damit auf den Tourismus? 

Rosa: Der Tourismus wird ganz eindeutig von der Sehnsucht nach Resonanz getrieben. Mal wieder in Resonanz treten mit sich selbst, mit der Welt, vielleicht auch Menschen zu treffen. Urlaub stellt das her, was ich „dispositionale Resonanz“ nenne. Urlaub fördert die Bereitschaft in uns und schafft die Bedingungen, die es uns ermöglicht, in Resonanz zu treten. Wir suchen echte, authentische Erfahrungen und wissen, dass wir sie im Urlaub machen können. Erstaunlicherweise steigt das Verlangen danach, wenn es uns nicht gelingt. Und kaum aus dem Urlaub zurück, wird die nächste Reise geplant.

Sie haben auch ein Buch mit dem Titel „Unverfügbarkeit“ geschrieben, das sich mit unserer Erwartungshaltung auseinandersetzt. Welche Bedeutung haben die Erkenntnisse für die Urlaubszeit?

Rosa: Unverfügbarkeit ist ein Gegenbegriff zur Idee, dass ich mir einfach etwas kaufe und damit meine Wünsche erfülle. Wir können uns eine bestimmte Erfahrung kaufen. Zum Beispiel ein Ticket für ein Konzert. Aber was das Konzert mit mir macht und ob ich da wirklich in Resonanz trete, dass weiß ich vorher nicht. Resonanz ist die Erfahrung, dass mich etwas wirklich berührt und dass ich mich dadurch lebendig fühle. Und genau das kann ich nicht kaufen.

Glückserfahrungen, Lebendigkeitserfahrungen sind immer an der Grenzlinie. Wenn etwas komplett unverfügbar ist, dann ist es auch sinnlos. Es muss irgendwie erreichbar sein, aber nicht verfügbar, das ist meine These. Schnee ist ein gutes Beispiel dafür. Sie wollen im Winterurlaub nicht auf Schneefall verzichten und streben deshalb danach, sich das Unverfügbare verfügbar zu machen. Aber Schnee aus der Schneekanone ist nicht die gleiche Erfahrung, wie wenn es plötzlich schneit.

Bei einem Rundgang durch die Abteilungen Sehen, Fühlen, Hören, Riechen in diesem Museum werden die Sinne angesprochen und für die ganze Familie gibt es auf spielerische Weise vielfältige Phänomene zu entdecken. Gilt das auch für den „Resonanz-Raum“?

Rosa: Im „Resonanz-Raum“ haben wir versucht, Resonanz auf vielfältige Weise erfahrbar zu machen. Zum Beispiel beim Streifenspiegel, wo es darum geht, das Eigene im Anderen und das Andere im Eigenen zu sehen, was eine ganz besondere Resonanzerfahrung ist. Aber wie beim „Zeit-Raum“ auch, haben wir auch reflexive Momente eingebaut, die zum Nachdenken darüber anregen, wo im Leben die Resonanzoasen und wo die Entfremdungszonen sind. Sich das zu verdeutlichen, kann für Besucher eine interessante oder gar wichtige Erfahrung sein.

Was bedeutet Zeit und Resonanz für Sie in Bezug auf Ihre Heimat, den Schwarzwald?

Rosa: Die Themen hängen tatsächlich zusammen. Zeit und Resonanz sind für mich unmittelbare Heimaterfahrungen. Als ich als junger Mensch in London angefangen habe zu studieren, habe ich gemerkt, dass es einfach ein anderes Gefühl ist, hier durch Grafenhausen zu gehen als durch London. Ich habe eine andere Zeiterfahrung hier im Schwarzwald. Nicht nur, weil es langsamer ist, sondern weil es mich biografisch verbindet, weil ich weiß, dass schon mein Großvater und mein Urgroßvater hier gegangen sind. Und ich erinnere mich auch an meine eigenen Erfahrungen, als ich als kleiner Junge an der Hand meines Vaters oder meiner Mutter gelaufen bin. Auch meine Beziehung zur Natur ist anders. Natürlich, weil das Gehen auf Gras anders ist als auf Asphalt, aber eben nicht nur deshalb. Es waren fast sinnliche Erfahrungen, die mich auf meine Themen gebracht haben, so wie wir das im Schwarzwaldhaus der Sinne versucht haben umzusetzen. Und ich würde sagen, das ist bis heute so geblieben.

Wo und womit verbringen Sie am liebsten Ihre Freizeit?

Rosa: Alle meine Freizeitaktivitäten wie Sterne beobachten, Tennis spielen, Musik machen, Ski fahren und gelegentlich schwimmen, mache ich tatsächlich fast nur hier im Schwarzwald. Mein Lebensmodell ist sozusagen, dass ich sehr viel unterwegs war und bin, relativ vagabundierend, aber immer mit einem festen Anker hier in Grafenhausen, weil hier meine Resonanzachsen sind. Das ist mir eigentlich bis heute klar. Ich gucke gerne Sterne, das geht in den Bergen viel besser als in der Stadt. Die Schweizer Alpen sind auch sehr wichtig für mich und hier im Hochschwarzwald hat man von fast überall eine tolle Sicht darauf. Als Jugendlicher hatte ich allerdings noch keinen so starken Sinn dafür, was Landschaft sein kann und dass diese Erfahrung von Bach und von Sonne und von Weite etwas mit unserer Seele macht. Die Erkenntnis kam erst im Erwachsenenalter.

Ihnen wurde im September 2023 die Ehrenbürgerschaft in Grafenhausen verliehen. Was bedeutet das für Sie?

Rosa: Ich habe in meinem Berufsleben schon viele Auszeichnungen erhalten. Aber diese Ehrung ist etwas Besonderes, weil sie eine Art Resonanzachsenbestätigung ist. Mir liegt viel an Grafenhausen und Grafenhausen liegt auch was an mir. Ich würde sagen, es ist eine Sichtbarmachung, eine Manifestation einer Beziehung, die ich so wahrgenommen habe und diese Ehrenbürgerschaft bedeutet für mich irgendwie, dass die andere Seite das auch so wahrnimmt. Das ist ein Hören und Antworten, ein aufeinander bezogen sein und das ist mir wirklich wichtig und bedeutet mir tatsächlich viel.

 

Interview: Jutta Ulrich

Bilder: Jutta Ulrich/Schwarzwald Tourismus GmbH und Schwarzwaldhaus der Sinne