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Ein Kräuterbüschel heißt Besucher schon am Eingang willkommen. In der Gaststube mit ihrem knarrenden Dielenboden und den schlichten Holzstühlen hängen Kräutersträuße in den Fenstern. Auf dem alten, grünen Kachelofen reihen sich Gläser, die mit getrockneten und eingelegten Kräutern und Früchten gefüllt sind: Huflattich, Johanniskraut, Vogelbeeren und vieles mehr. Sein Hagebuttenpulver mischt Michael Meßmer, Chef in der „Linde“ in Löffingen, unters Müsli oder in Süßspeisen. Die Brennnesselsamen streut der 56-Jährige über vegetarische Gerichte und nutzt sie für Dips. „Eine echte Kraftpflanze, die sehr viel Eisen liefern kann“, sagt Meßmer.

Die jüngste Leidenschaft des Kochs ist im traditionsreichen Gasthof unübersehbar. Kräuter haben ihn schon immer interessiert und den Corona-Lockdown nutzte er, um eine Ausbildung als Heilkräuterpädagoge anzufangen, die er im vergangenen Jahr auch erfolgreich abgeschlossen hat. Das neu erworbene Wissen über Kräuter und was man daraus zubereiten kann, hat ihn so begeistert, dass er es gleich in kurzen Filmen weitergegeben hat, die online abrufbar waren.

Außerdem hat er in der Zeit einen Gemüsegarten gepflanzt und eine Kräuterspirale angelegt. „Das war sehr meditativ und hat mir gutgetan“, erklärt Meßmer. Denn anfangs sorgte er sich sehr, dass es nun vorbei sein könnte mit der „Linde“, die seit 1825 besteht und seitdem auch der Familie gehört. „Mit meinem 83-jährigen Vater und meinem fünfjährigen Enkel sitzen hier manchmal vier Generationen an einem Tisch“, sagt Meßmer stolz.

Die Sorge liegt hinter ihm, die „Linde“ und mit ihr die Familie haben die Krise gut überstanden. Nun kann Michael Meßmer sein Wissen nutzen und für seine Gäste Speisen zaubern, wie Spargel mit Wildkräutern, Brennnessel-Bärlauch-Risotto und Rote Bete-Apfel-Tartar. Zur Karte gehören aber nicht nur vegetarische, sondern auch Fleischgerichte, wie das Lindenpfännle mit Schweinefilet und Spätzle oder Bratwürste vom Bio-Weideschwein. Eines ist dem Koch aber wichtig: Er investiert viel Zeit in die Zubereitung von Gemüse. Seine Gäste schätzen das und manche nehmen sogar die Anfahrt aus Stuttgart dafür in Kauf.

Für die vielen verschiedenen Kräuter sorgt er selbst: Jeden Morgen zieht Meßmer mit seiner Hündin Yara zum Sammeln los, manchmal schließt sich auch seine Frau Christina an. Im Frühling, wenn alles sprießt und sie aus dem Vollen schöpfen, kann das schon ein bis zwei Stunden dauern. So verbindet Michael Meßmer seine beiden Leidenschaften: die fürs Kochen mit der für den Wald und die Natur.

Zwischen diesen beiden stand er auch bei seiner Berufswahl. Die Küche kannte er von zuhause, deshalb hat er sich ein Praktikum im Forst gesucht. Das Wetter war aber richtig mies, der Schneeregen kroch ihm ständig in den Nacken. „Da habe ich mich entschieden, doch lieber an den warmen Herd zu gehen“, sagt er. 

Nach der Ausbildung zum Koch im „Öschberghof“ in Donaueschingen arbeitete er in Frankfurt, doch er kehrte der Großstadt schnell wieder den Rücken, „das ist nichts für mich“. Mit seiner Frau reiste er ein Jahr durch die Vereinigten Staaten und Kanada. Wenn er von den Wäldern erzählt, in die er dort eingetaucht ist, strahlt sein Gesicht. In den Rocky Mountains erreichte ihn dann ein Anruf der Eltern: Der Koch war gegangen und sie fragten ihn, ob er nicht in die Heimat zurückkehren wolle. So kam er 1990 nach Löffingen.

Mit meinem 83-jährigen Vater und meinem fünfjährigen Enkel sitzen hier manchmal vier Generationen an einem Tisch.

Michael Meßmer

2002 hat er den Betrieb übernommen und seit 2008 gehört er zu den Naturpark-Wirten Südschwarzwald, die sich regionaler Küche verschrieben haben. Zudem trägt seine „Linde“ drei Löwen bei der Dehoga-Initiative „Schmeck den Süden“ – die höchste Auszeichnung, die nur diejenigen erhalten, die 90 Prozent aller Zutaten aus der Umgebung beziehen. Das sind 29 Restaurants in ganz Baden-Württemberg. Viele heimische Lieferanten hat er über die Jahre aufgetan: Die Jäger, von denen er sein Wild bekommt. Wolfgang Winterhalder vom Kirnerhof in Titisee-Neustadt, der Bio-Weideschweine für ihn aufzieht. Wolfram und Eva Wiggert vom Haslachhof in Löffingen, die unter anderem Quinoa, Hanf und Buchweizen anbauen.

Auch die Blattertmühle, nur wenige Kilometer entfernt in Wellendingen bei Bonndorf, gehört dazu. Sie ist ebenfalls seit 200 Jahren im Familienbesitz und, wie Daniel Blattert stolz erklärt, „eine der kleinsten und die höchst gelegene Mühle Deutschlands, die heute noch produziert“. Weizen, Dinkel, Roggen und Urgetreide bezieht er aus einem Umkreis von 40 Kilometern – und damit auch von den höchst gelegenen Äckern Deutschlands, wie er sagt. „Dadurch gibt es wenig Pilzbefall beim Getreide.“

Daniel Blattert versorgt nicht nur Michael Meßmer mit Brot- und Spätzlesmehl, sondern auch andere Naturpark-Wirte. „Jeder von ihnen hat seine eigene Philosophie – und jeder bekommt die Mehlmischung, die er haben will“, sagt Blattert. Bäckereien, Edeka-Märkte und Betriebe, die das Mehl weiterverarbeiten, wie zum Beispiel Kekshersteller, beliefert er ebenfalls. In seinem großen Mühlenladen, zu dem auch ein Café gehört, kann aber jeder einkaufen. Perldinkel gibt es dort, „unseren Schwarzwaldreis“, erklärt Blattert, Mehl in allen Varianten, Backmischungen und vieles mehr. Außerdem bietet die Mühle Kurse an. „Wir wollen das traditionelle, unkomplizierte Backen vermitteln, wie es die Schwarzwaldbäuerinnen früher gemacht haben“, sagt Daniel Blattert.

Michael Meßmer bereitet schon längere Zeit das Brot für den Gasthof selbst zu. „Alles andere schmeckt uns nicht mehr“, sagt seine Frau. Mehl und vieles andere aus der Region zu bekommen ist kein Problem, Gemüse hingegen wird für den Naturpark-Wirt manchmal eine Herausforderung. Und eine Preisfrage: „Tomaten von der Reichenau sind einfach viel teurer als die aus Holland oder Belgien“, sagt er, „aber der Qualitätsunterschied ist groß.“

Deshalb sorgt er vor: Meßmer geht voran, eine steile Treppe hinunter in seinen großen, alten Gewölbekeller. In einem Regal stehen Gläser mit buntem Inhalt: eingelegter roter Rettich, orangefarbener Kürbis, gelbe Bete und mehr. „Damit kann man wunderbar Salate verfeinern“, sagt der Koch. Und natürlich mit seinen Kräutern, mit denen er sich immer intensiver beschäftigt: Er studiert die Bräuche der Kelten, nutzt die Kräuter auch zum Räuchern und hat viel über die Heilkraft verschiedener Pflanzen gelernt. Er schwört auf sie, wenn es darum geht, Krankheiten vorzubeugen, und seine Wundermittel sind in der Familie gefragt, wenn ein Infekt im Anflug ist.

Vielleicht hat er künftig sogar noch mehr Zeit, sich seinen Kräutern zu widmen. Sohn Marc, der von klein auf in der Küche mitgearbeitet hat, wird den Betrieb mit seiner Frau übernehmen. Die Kräuter werden aber auch künftig ein wichtiges Thema bleiben, verspricht der 32-Jährige. „Wir werden vielleicht an Breite verlieren, aber an Tiefe gewinnen – wie bei einer guten Sauce, die reduziert werden muss“, fasst er seine Vision zusammen. Dazu gehört, dass es künftig mehr Kräuterführungen geben soll, bei denen Gäste tiefer ins Thema einsteigen können. Im Anschluss wird das, was auf der Wiese gepflückt wurde, gemeinsam beim Kochen verarbeitet – und Michael Meßmer bekommt noch häufiger die Gelegenheit, sein Wissen über Wildkräuter weiterzugeben.

Info

Das Gasthaus „Linde“ in der Oberen Hauptstraße 10 in Löffingen ist täglich bis auf mittwochs und donnerstags geöffnet: www.linde-loeffingen.de, Tel. 07654/354. Zum Haus gehören 13 Hotelzimmer, außerdem vermietet die Familie drei Ferienwohnungen im Nachbarhaus und das Ferienhaus Villa Alenberg. Beliebtes Ausflugs- und Wanderziel bei Gästen ist die nahe gelegene Wutachschlucht: www.wutachschlucht.de

Die „Linde“ gehört zur Vereinigung der Naturpark-Wirte, diese gibt es im Naturpark Südschwarzwald und im Naturpark Schwarzwald Mitte/Nord, insgesamt sind es in der Ferienregion mehr als 100. Alle Mitglieder bieten Gerichte aus regionalen Zutaten an. Auf diese Weise tragen sie dazu bei, Landwirte und andere Erzeuger zu unterstützen und die Schwarzwaldlandschaft zu erhalten. Sie betreiben gewissermaßen Landschaftspflege mit Messer und Gabel. Im Laufe des Jahres werden einige Naturpark-Wirte, darunter Michael Meßmer, auch in Videos porträtiert, alle Infos dazu unter www.naturparkwirte.info

Die Blattert Mühle & Kornhaus in der Konstantin-Fehrenbach-Straße 33 in Bonndorf-Wellendingen, www.blattert-muehle.de, Tel. 07703/318, hat einen großen Mühlenladen und ein Café, beides ist täglich außer sonntags geöffnet. Außerdem hat die Mühle einen Onlineshop und sie veranstaltet zahlreiche Backkurse und -events.

Text: Claudia List

Fotos: Claudia List, Thomas Kapitel/Kai Rachel, Linde Löffingen, Blattertmühle