100 Jahre Bergwacht Schwarzwald

„Für dich am Berg – bei jedem Wetter in jedem Gelände“ lautet das Motto der ehrenamtlichen Helfer und Helferinnen der 22 Ortsgruppen der Bergwacht Schwarzwald. Sie retten dort, wo andere Rettungsdienste nicht weiterkommen: abseits von Straßen und Wegen, an zerklüfteten Felsen, undurchdringlichen Schluchten, tief verschneiten Berghängen, Skipisten und Loipen. Von Birgit-Cathrin Duval

100 Jahre Bergwacht Schwarzwald

Bei den Einsätzen von Stephan Wiesler (links) und seinen ehrenamtlichen Kolleginnen und Kollegen der Bergwacht Schwarzwald muss jeder Handgriff sitzen und das Team eingespielt sein. – © Olga von Plate Stralenheim

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„Du musst schon völliges Vertrauen haben, wenn du außen auf den Kufen stehst und am Seil hängst“, erzählt Stephan Wiesler. Der 44-Jährige ist einer von rund 20 RHS's, so werden die Rettungsspezialisten für Helikoptereinsätze bezeichnet. Das Wichtigste dabei: Konzentration und klare Kommunikation. Weil der Lärm am Hubschrauber die mündliche Absprache erschwert, laufen viele Signale über Gestik und Handzeichen ab: ein Zwinkern, ein Tappen mit dem Fuß und jeder Handgriff sitzt. Ein Rettungseinsatz mit Hubschrauber verlangt höchste Konzentration und gute Ausbildung, da greift ein Rädchen ins andere. „Im Einsatz arbeitest du manchmal auch mit Leuten, die du zuvor noch nie gesehen hast“, sagt Wiesler, seit 2017 stellvertretender Landesvorsitzender der Bergwacht Schwarzwald.

Als Sittenwacht "gegen die anstößige Nacktkultur"

Wohl kaum eine Organisation hat sich seit ihrer Gründung in der Zielsetzung so stark verändert wie die Bergwacht Schwarzwald. Als am 19. März 1922 Mitglieder des Schwarzwaldvereins in Freiburg die Abteilung Bergwacht Schwarzwald gründeten, stand der Naturschutz und die Einhaltung der Sitten und öffentlichen Ordnung im Vordergrund. Der Schwarzwald hatte zu jener Zeit einen Zustrom an Touristen zu verzeichnen, die mit Radios, Autos und Motorrädern in die Berge zogen. Auch galt es gegen die „anstößige, an belebten Plätzen ausgeübte Nacktkultur“ vorzugehen und sich bei Unglücksfällen unaufgefordert an den Rettungs- und Bergungseinsätzen zu beteiligen. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war der Feldberg das Mekka des Skifahrens und mit dem rasend schnell wachsenden Skisport nahmen auch die Unfälle zu. 1928 entstand die erste Rettungsstation am Rinken, in der Nähe des höchsten Mittelgebirgsgipfel Deutschlands. Fast zeitgleich wurde im Nordschwarzwald auf der Hornisgrinde eine Rettungsstation in Betrieb genommen, erste Bergwachtsanitäter wurden ausgebildet.

„Wer zur Bergwacht geht, sollte ein guter Skifahrer sein“, erzählt Stephan Wiesler. Der junge Stephan war einer und das wusste man auch in seinem Heimatort bei der Bergwacht Münstertal. Als 16-Jähriger tritt er in die Bergwacht ein. „Die Kameradschaft hat mich begeistert und ich wollte Menschen, die sich in einer misslichen Lage befinden, helfen“, resümiert Stephan Wiesler.

Damals erlebte er seinen ersten großen Einsatz: Seine Ortsgruppe, die im Rahmen des Sommerrettungsdienstes am Feldberg stationiert war, wurde zu einem abgestürzten Sportkletterer am Zastler alarmiert. „Es gab noch keine Handys und vom Feldberg aus wurde an den Sommerwochenenden der gesamte südliche Schwarzwald abgedeckt“, erinnert sich Wiesler. Zur Rettung wurde ein Rettungshubschrauber mit Seilwinde gerufen – ein einschneidendes Erlebnis für den damals 16-Jährigen, das ihn nachhaltig prägte. Für ihn stand fest: Eines Tages will ich – an der Seilwinde hängend – Menschenleben retten.

Der Beginn der Luftrettung im Schwarzwald

Seit den 1970er Jahren standen Hubschrauber des SAR-Kommandos (Search and Rescue), die im „Aufklärungsgeschwader Immelmann“ der Bundeswehr in Bremgarten stationiert waren, für den Bergrettungsdienst zur Verfügung. Damals begann die Bergwacht die spezielle Ausbildung von Luftrettern, die die Helikopterbesatzungen an Bord und am Boden ergänzten. 1971 markierte auch das Jahr, in dem erstmals eine Frau in die Bergwacht Schwarzwald eintrat. Mit Elfriede Böcherer war damals auch die erste Frau als Luftretterin im Einsatz.

Ein Einsatz, der betroffen macht

Im Januar 2014, im Tal ist es bereits frühlingshaft, während oben auf über 1000 Metern noch winterliche Bedingungen herrschen, wird die Bergwacht zum Einsatz am Belchen alarmiert. An der Belchen-Nordseite ist während eines Familienausflugs ein dreijähriger Bub auf dem vereisten Schnee ausgerutscht und abgestürzt, der Vater rutscht beim Versuch, seinen Sohn zu retten, ebenfalls ab und hängt irgendwo im Steilhang. Der Rettungshubschrauber ist mit Stephan Wiesler an der Seilwinde im Einsatz. Er kann den Vater sichern und retten, das Kind kann nur tot geborgen werden. Für Wiesler, selbst Familienvater, ein Einsatz, der ihm unter die Haut geht. Im Einsatz steht die Versorgung der Verunglückten an erster Stelle, da muss man handeln und als eingespieltes Team funktionieren. Die Verarbeitung kommt danach.

Medizinische Erstversorgung im Gelände

Als Mitglied der Bergwacht sei man immer 24 Stunden und 7 Tage die Woche einsatzbereit, erzählt Stephan Wiesler, der beruflich als Projektleiter in einem Ingenieurbüro arbeitet. Bergwacht-Einsatzkleidung und Einsatzrucksack liegen immer im Kofferraum des Autos bereit. Stand in den Anfängen der Bergwacht primär der Transport aus dem Gelände mit Schlitten oder Tragen im Vordergrund, so leistet die Bergwacht heute notfallmedizinische Erstversorgung direkt im Gelände. In den 1970er Jahren bestand die Ausrüstung aus einer einfachen Hüfttasche, dem Wimmerl, in dem Verbandszeug untergebracht war. Heute besteht der Notfall-Rucksack aus Blutdruckmanschette, Blutzuckermessgerät, Verbandsmaterial, Schienungsmaterial, Wärmeerhalt, Sauerstoffflasche, Sauerstoffmaske, Beatmungsbeutel und Absaugpumpe. Ergänzt wird die Ausrüstung durch einen Notarzt-Rucksack mit Infusionen, Injektionen, Defibrillator und Material für Intubation und Beatmung.

Katastrophenschutz

Heute sind die Mitglieder der Bergwacht hochspezialisierte Helfer, die eine anspruchsvolle, mindestens zwei Jahre lange Ausbildung absolvieren und sich in zahlreichen Eignungstests und Prüfungen beweisen müssen. Darunter sind einige, die beruflich als Notfallsanitäter oder Ärztinnen arbeiten und in ihrer Freizeit ehrenamtlich für die Bergwacht im Einsatz sind. Einsätze, bei denen die Bergretter wie Stephan Wiesler alles geben, um Verunglückte aus schwierigem Gelände zu retten. Mit Schneemobilen, Geländewagen und Raupenfahrzeugen stehen die Einsatzkräfte auch für Einsätze rund um den Katastrophenschutz bereit. Jährlich rücken die Retter zu rund 1.500 Notfällen aus - zu Beginn der 1990er Jahren waren es rund 250 Einsätze.

Neubau der Bergrettungswache Hinterzarten

Mit dem Bau der Bergrettungswache Hinterzarten wird ein zentraler Punkt nordöstlich des Feldbergs bergrettungsdienstlich erschlossen und so ein Tourismus-Schwerpunkt abgedeckt. Spatenstich für die Wache, die in Holzbauweise errichtet und in moderner Schwarzwälder Architektur gestaltet wird, war Ende Mai 2022. Geplant ist die Eröffnung für Sommer 2023. Bis zum Richtfest wartet aber noch eine Mammutaufgabe: Der Eigenanteil von 400.000 Euro muss noch aufgetrieben werden. Daher bittet die Bergwacht Schwarzwald um Spenden. Mehr Infos dazu unter www.bergwacht-schwarzwald.de

Birgit-Cathrin Duval

Über die Autorin

Birgit-Cathrin Duval

Der Schwarzwald fängt bei Birgit-Cathrin Duval buchstäblich hinter der Haustüre an. Sie lebt am Fuß der beiden Wildsberge, zwei stolze 1000er im oberen Kandertal. Gemäß ihrem Motto „Verpasse niemals einen Sonnenaufgang“, steht sie frühmorgens am liebsten auf einem ihrer Gipfel. Sie erkundet auf alten, vergessenen Pfaden Berge und Wälder und schreibt Wanderführer, die spannende, kuriose, unheimliche und sagenhafte Geschichten über den Schwarzwald erzählen. Denn „ein Ort ohne Geschichte, ist wie Suppe ohne Salz“. @takkiwrites, www.takkiwrites.com