Die Heimat des Fahrraderfinders

Karl Drais hat 1817 mit seiner Laufmaschine das Ur-Fahrrad erfunden. Vieles über das wechselvolle Leben des einfallsreichen Mannes erfährt man bei einer Führung durch seine Heimatstadt Karlsruhe. Von Claudia List

Die Büste von Karl Drais

Karl Friedrich Christian Ludwig Freiherr Drais von Sauerbronn erfand den Fahrrad-Vorläufer „Draisine“, das erste Fahrzeug mit zwei Rädern auf einer Spur. – © Claudia List

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Der Treffpunkt ist kein Zufall: Über der Gruppe, die sich um Stadtführer Georg Hertweck vor dem Karlsruher Schloss versammelt hat, thront das Denkmal des Markgrafen Karl Friedrich von Baden. Er hatte zu Drais, um den sich die Tour dreht, eine ganz besondere Verbindung: Der Erfinder war sein Patensohn. Karl Friedrich Christian Ludwig Freiherr Drais von Sauerbronn, so sein vollständiger Name, wurde als Sohn eines badischen Hof- und Regierungsrats am 29. April 1785 in Karlsruhe geboren. Der Markgraf galt als Förderer der technischen Entwicklung und ließ in Karlsruhe die erste technische Hochschule Deutschlands bauen. Allerdings bestimmte er, dass sein Patensohn in eine Forstwirtschaftsschule gehen sollte.

„Dabei hat sich Drais viel mehr für Mathe und Physik interessiert“, erklärt Georg Hertweck, während ihm seine Begleiter zu den Orten folgen, die mit dem Erfinder verbunden sind. Das Lyzeum, das er besuchte, lag links von der Stadtkirche am Marktplatz. Nur wenige Schritte davon entfernt erinnert eine Tafel daran, dass hier das Haus stand, in dem der Erfinder am 10. Dezember 1851 starb.

Zusammentreffen

Drais und Benz

Damals lebte auch Carl Benz mit seiner Mutter in der Nähe und es kursiert die Geschichte, dass Drais dem kleinen Benz eine Laufmaschine geschenkt habe. „Belegt ist das nicht“, erklärt Hertweck, „aber man kann davon ausgehen, dass ihn Benz gekannt hat, denn er war in der Nachbarschaft als verrückter Professor bekannt“.

Karl Drais folgte der Forstlaufbahn, bis sich sein Vater beim Großherzog für ihn einsetzte. So wurde er 1811 bei vollen Bezügen von der Arbeit freigestellt und durfte sich fortan seinen Erfindungen widmen. „Eine sehr privilegierte Position“, erklärt Hertweck, „Drais lebte außerdem zuhause bei den Eltern und konnte sein ganzes Geld in seine Erfindungen stecken“.

Laufmaschine

Drais' Durchbruch

Der Vater war damals Hofgerichtspräsident in Mannheim. Dort gelang Drais, neben vierrädrigen Fahrmaschinen, einem Schreibklavier und einer Schnellschreibmaschine, 1817 seine wichtigste Erfindung: die Laufmaschine, der Vorläufer des Fahrrads.

Eine bahnbrechende Konstruktion mit nur zwei Rädern, die hintereinander auf zwei Achsen angeordnet waren und die mit schnellen Schritten angetrieben wurden. Sie ermöglichte dem Fahrer, sich deutlich flotter als zu Fuß fortzubewegen. Damit fuhr Drais im Juni 1817 von seinem Wohnhaus in Mannheim mit 15 Stundenkilometern – und damit schneller als die Postkutsche – bis in den heutigen Stadtteil Rheinau.

In Europa sorgte die Staub- und Aschewolke des indonesischen Tambora-Vulkans, der 1815 ausgebrochen war, jahrelang für Missernten. Bauern konnten ihre Pferde, sofern sie noch welche hatten, nicht füttern. Auch das war für Karl Drais Ansporn, nach einem alternativen Fortbewegungsmittel zu Kutsche und Wagen zu suchen. Später folgte seine Eisenbahn-Draisine, die mit den Füßen angetrieben wird.

Zunächst machte jedoch sein Ur-Fahrrad Furore und der Großherzog erteilte Drais ein Privileg, also eine Art Patent, auf seine Erfindung. Im Karlsruher Stadtmuseum, wo heute ein Exemplar aus Drais’ Besitz steht, erzählt Hertweck davon, dass sich das Blatt für den klugen Kopf allerdings bald wendete. Seine Laufmaschine war erfolgreich und wurde auf der ganzen Welt tausendfach nachgebaut, oft aber ohne Lizenz und damit auch ohne Einnahmen für Drais.

Zudem fühlten sich die Fußgänger auf den Gehsteigen von den schnellen Radlern gefährdet, doch die konnten nicht auf den morastigen Straßen fahren. Im Gegensatz zur Konstruktion von Drais, die mit einer Bremse am Hinterrad ausgestattet war, fehlte diese bei den Nachbauten. Die Folge waren spektakuläre Unfälle und das Radfahren wurde sogar mancherorts verboten und lächerlich gemacht – und mit ihm sein Erfinder.

Als die badische Revolution, zu der sich Drais 1849 öffentlich bekannt und seinen Privilegien als Adliger entsagt hatte, niedergeschlagen wurde, brachen endgültig schlimme Zeiten für ihn an: Seine Pension wurde beschlagnahmt. Er starb isoliert und verarmt in seiner Geburtsstadt.

Erst mit dem Siegeszug des Fahrrads in den 1890er-Jahren erinnerten sich die Menschen wieder an ihn und seine Erfindung. Als 1892 Drais’ Grab auf dem alten Friedhof eingeebnet werden sollte, sammelte der Bund der Radfahrer für ein neues Grabmal. Seine Büste überstand – im Gegensatz zu der von Carl Benz, die 1944 eingeschmolzen und später neugestaltet wurde – den Zweiten Weltkrieg und steht heute neben der seines Erfinderkollegen Benz in der Beiertheimer Allee.

Claudia List

Über die Autorin

Claudia List

Claudia List hat Journalismus und Betriebswirtschaft studiert, bei einer Tageszeitung volontiert und viele Jahre als Reiseredakteurin bei einer Wochenzeitung gearbeitet. Sie lebt in Stuttgart und schreibt als freie Journalistin in Zeitungen, Magazinen und Büchern über die erlebnis- und genussreichen Seiten Baden-Württembergs. Dabei haben es ihr besonders die Mittelgebirge im Lande angetan. Sie ist Chefredakteurin eines Magazins über die Schwäbische Alb, schreibt aber genauso gern über die spannenden Themen, die der Schwarzwald bietet: Dafür verbringt sie mit Vergnügen eine Nacht im Baumzelt, wandert durch die Landschaft, folgt den Spuren eines Dichters, trifft Winzer sowie andere Genusshandwerker und besucht Dorfgasthäuser.