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Im Sommer waren wir Kinder barfuß, im Winter haben wir immer gefroren. Über die Härte der damaligen Zeit habe ich mir als junger Mensch gar nicht so große Gedanken machen können. Es war halt so.

Georg Thoma

 

Zeitgeschichte lässt sich auf verschiedene Arten vermitteln – man kann sie erklären, man kann sie zeigen und man kann sie sogar schmecken: Als der Hinterzartener Georg Thoma am 7. Februar 1960 mit der deutschen Olympia-Mannschaft in München in die „Super Constellation“ steigt und nach rund 30 Stunden Sonderflug schließlich in Reno landet, steht unter anderem Echte Schildkrötensuppe, Toulouser Ragout und Kraftbrühe mit Sherry auf dem Speiseplan über den Wolken.

Im Schwarzwälder Skimuseum in Hinterzarten ist die regionale Wintersportgeschichte informativ aufgearbeitet, natürlich sind auch aus Thomas Leben zahlreiche Exponate und Fotografien zu sehen. Und besonders spannend ist ein Besuch, wenn Thoma, der auf Anfrage noch immer gerne bei Führungen dabei ist, selbst ein bisschen von seinen Erlebnissen erzählt.

 

 

2022 hat er seinen 85. Geburtstag gefeiert, die zwei Treppen ins Obergeschoss des Museums nimmt er für sein Alter noch immer relativ zügig. Faszinierend an Thoma sind nicht nur seine vielen Erfolge, sondern auch seine strahlenden, neugierigen Augen. Und seine viel gerühmte Bescheidenheit: Die schon damals sportbegeisterte Weltöffentlichkeit sieht in ihm nach seinem überraschenden Olympiasieg 1960 in der Nordischen Kombination im kalifornischen Squaw Valley einen (Sport-)Helden, mehr als 20.000 Menschen säumen bei seiner Rückkehr die Straßen. Und natürlich ist es Zeitgeschichte, die der damals 22-jährige Schwarzwälder schreibt. Eigentlich sogar eine Zeitenwende, denn Thoma ist der erste Mitteleuropäer, der die ansonsten dominierenden Skandinavier in dem Wettbewerb aus Skisprung und Langlauf schlagen kann. Aber Thoma, der auch heute noch am liebsten Georg oder „Jörgle“ genannt werden möchte und mit seiner Frau nie aus Hinterzarten weggezogen ist, wird dieser Trubel um seine Person schnell zu viel. „Natürlich war es etwas Besonderes, auf einem anderen Kontinent antreten zu dürfen und dann als Olympiasieger nach Hause zurückzukehren“, sagt er. „Aber Schnee ist überall Schnee, mal weich, mal hart, mal matschig, aber eben immer Schnee.“ Ein treffendes Beispiel für Thomas Blick aufs Leben, die Dinge so zu nehmen, wie sie sind und das Beste daraus zu machen.

Denn der 1937 geborene Thoma durchlebt wie so viele andere in dieser Zeit eine harte Kindheit: Der Vater ist im Krieg, für Georg und seine sechs Geschwister ist nicht genügend Essen da. So kommt er als Hütebub auf den Wunderlehof im Feldberggebiet und muss unter anderem die Kühe beaufsichtigen. „Im Sommer waren wir Kinder barfuß, im Winter haben wir immer gefroren. Über die Härte der damaligen Zeit habe ich mir als junger Mensch gar nicht so große Gedanken machen können“, erzählt Thoma. „Es war halt so.“ Auch diesen Satz hört man im Gespräch mit ihm öfter.

Man muss beim Langlauf nicht nur die Berge hochsprinten können, sondern auch ein guter Abfahrer sein und da habe ich im Vergleich zu vielen anderen einen deutlichen Vorteil gehabt. Da hilft es natürlich, wenn man schon mit drei oder vier Jahren auf Skiern steht.

Georg Thoma

Zur weiter entfernten Schule ging es in den Wintermonaten mit den Skiern. Dass die Kinder dann „zum Spaß auch Schanzen bauten und so das Skispringen in Ansätzen erlernten, war ebenfalls gängige Praxis“, betont Alfred Faller, Leiter des Schwarzwälder Skimuseums, der sich bestens mit der Tradition des Wintersports im Schwarzwald auskennt.

Nach und nach zeigt sich, dass Thoma schon als Kind nicht nur riesige Ausdauer, sondern auch besonderes Talent besitzt: Es folgen in den 1950ern Siege bei Schülerwettkämpfen und reihenweise Deutsche Meistertitel in der Nordischen Kombination, obwohl er erst mit 15,16 Jahren erstmals Tipps von Trainern erhält. 1960 dann Olympiasieg und Weltmeistertitel, Thoma wird zum „Sportler des Jahres“ gewählt. Von 1963 bis 1965 siegt er beim traditionsreichen Wettbewerb der Nordischen Kombination am Holmenkollen in Oslo drei Mal hintereinander. Mit dem Weltmeistertitel 1966 in der Nordischen Kombination beendet Thoma seine Spitzensportler-Karriere. In den 1980er Jahren sammelt er viele weitere Senioren-Weltmeister-Titel im Ski-Langlauf und hält noch immer den Streckenrekord beim 100 Kilometer langen „Rucksacklauf“ von Schonach zum Belchen. Ein Teil seines Erfolgsrezepts: „Man muss beim Langlauf nicht nur die Berge hochsprinten können, sondern auch ein guter Abfahrer sein und da habe ich im Vergleich zu vielen anderen einen deutlichen Vorteil gehabt. Da hilft es natürlich, wenn man schon mit drei oder vier Jahren auf Skiern steht.“ 

 

Im Wettkampf, erzählt Thoma, sei es ihm immer gut gelungen, sich auf den Moment zu konzentrieren. „Wenn Du oben auf dem Holmenkollen stehst, dann interessieren die tausenden Zuschauer unten nicht.“ Heute, Stichwort Zeitgeschichte, ist natürlich ohnehin so vieles anders und nicht mit damals vergleichbar: Gesprungen wird im V-Stil und nicht mehr im Fischstil, bei dem die Bretter parallel in der Luft bleiben. Die Materialien sind optimiert, die Sportler Profis, auch die Preisgelder höher. „Das Geld hätten wir natürlich auch genommen“, sagt Thoma, „aber es gab damals quasi keins.“

Auch nach seinem Olympiasieg arbeitet er als Briefträger, später als Tennis- und Skilehrer. Wie berühmt er ist – und wie bekannt er den Schwarzwald in der Welt gemacht hat –, belegen Fotos: Thoma mit dem Who is Who aus Sport, Gesellschaft und Politik, von Fritz Walter, Uwe Seeler, Pelé, Ivan Lendl und Jayne Mansfield bis zu Königen, Kanzlern und Bundespräsidenten.

 

 

Auch nach seinem Rückzug aus dem Spitzensport ist Thoma bei (fast) allem gerne dabei, was ihm Spaß bringt und seine Ausdauer auf eine Probe stellt: Mit dem Rennrad fährt er alle großen Pässe der Nachbarländer ab, bestreitet zweimal die „Transalp“ von Mittenwald zum Comer See und einmal die 560 Kilometer von Trondheim nach Oslo nonstop. Einfach nur mitfahren und es schaffen? Das ist nicht Thomas Ding, er setzt sich immer Ziele und neue Herausforderungen. Den Schwarzwald durchquert er gerne mit dem Mountainbike, seit ein paar Jahren ist er nun mit E-Bike unterwegs. Füße hochlegen? „Das war und ist nicht so mein Ding“, sagt der Hinterzartener Ehrenbürger. Auf die Frage, was er eigentlich nicht kann, überlegt er einen kleinen Moment und sagt dann trocken: „Turnen.“ Alfred Faller will dem nicht widersprechen, führt aber an: „Georg ist ein totales Bewegungstalent, fürs Skispringen muss man auch sehr beweglich und reaktionsschnell sein.“

Alfred Faller war elf, als Thoma 1960 Olympiasieger wurde. „Er war mein Idol und etwas ganz Besonderes für mich. Wie viele andere eiferte ich ihm nach. Er schien für mich aber ganz weit weg zu sein“, sagt der ehemalige Schulleiter und begeisterte Wintersportler. Bei einem privaten Besuch im Schwarzwälder Skimuseum lernen sich die Beiden vor Jahren schließlich kennen, heute sind sie gut befreundet und geben zusammen Führungen im Museum. Manchmal kann man mit der Zeitgeschichte also sogar auf Du und Du sein.

 

 

Schwarzwälder Skimuseum in Hinterzarten: Die 1891 mit einer Feldbergbesteigung auf Holzbrettern begonnene Geschichte des Skilaufs in Mitteleuropa lässt sich im Schwarzwälder Skimuseum in Hinterzarten anhand von vielen Exponaten wunderbar nachvollziehen. Das Museum im Hugenhof ist auf Initiative von Georg Thoma und mit großer Unterstützung der Gemeinde Hinterzarten und dem damaligen Bürgermeister Hansjörg Eckert 1997 eröffnet worden. In der Georg-Thoma-Stube im Erdgeschoss sind Medaillen, Urkunden und Ski von der Wintersportlegende zu sehen. Geöffnet ist das Museum dienstags, mittwochs und freitags von 14 bis 17 Uhr, an Wochenenden und Feiertagen von 12 bis 17 Uhr. Erwachsene zahlen 5 Euro, für Kinder bis 16 Jahre ist der Eintritt frei. Mehr Infos unter www.schwarzwaelder-skimuseum.de

 

Text: Michael Gilg
Bilder: Gilg/Schwarzwald Tourismus