Nina Rühlig
Nina Rühlig ist schon immer gern gewandert, seit einigen Jahren ist eine Leidenschaft für längere Fernwanderwege hinzugekommen. Immer wieder nimmt sie sich Zeit dafür, ist meist allein und nur mit Zelt unterwegs, etwa auf dem mehr als 900 Kilometer langen „GR 10“, der die Pyrenäen vom Atlantik zum Mittelmeer durchquert. Die Schwarzwälder Fernwanderwege „Westweg“, „Zweitälersteig“ und „Albsteig“ hat sie auch schon erkundet. Ihre Erfahrungen und ihr Wissen gibt sie in Büchern und Vorträgen weiter – wie also bereitet man sich auf eine Mehrtageswanderung vor und was gibt es dabei zu entdecken?

Nina Rühlig bei einem Vortrag in Lahr beim Schwarzwaldverein – © Hans Schmidt
Liebe Nina, was reizt Dich an Fernwanderwegen?
Rühlig: Wenn ich mehrere Tage oder gar Wochen zu Fuß unterwegs bin, ändert sich meine Wahrnehmung für Entfernung, für Zeit, für Raum komplett. Ich tauche auch viel tiefer in die Kultur, Sprache und Natur einer Region ein, das genieße ich sehr. Rucksackpacken am Morgen, den Tag über wandern, am Abend ein Nachtlager finden – das ist eine ganz andere Struktur als im Alltagsleben. Am Handy habe ich im Allgemeinen den Flugmodus an, ich möchte ungestört wandern. Abgesehen von den Natureindrücken oder ab und an mal einer Begegnung gibt es beim Wandern wenig Außenreize – zu Fuß ist man langsam unterwegs und nimmt dadurch alles sehr intensiv wahr. Ich nehme mir gerne die Zeit, mir in Ruhe einen Baum oder die Aussicht anzuschauen, meinen Gedanken nachzuhängen oder mich mit Menschen auszutauschen, die ich unterwegs treffe.
Wer ist denn so unterwegs auf den Wegen?
Rühlig: In den letzten drei, vier Jahren war ich oft im Schwarzwald wandern, da habe ich zahlreiche Fernwanderer von überallher gesehen, viele davon in ihren Zwanzigern. Bei meiner Pyrenäen-Durchquerung reichte die Altersspanne von 18 bis 74, fast alle waren mit Zelt unterwegs. Wenn man länger mit den Menschen spricht, merkt man: Auch der soziale und berufliche Hintergrund ist ganz breit gefächert. Was ich sehr schön finde: Man lernt Menschen total vorbehaltlos kennen – alle sind einfach in Wanderklamotten in der Natur unterwegs und alle verbindet die Liebe zum Unterwegssein.
Dank Deiner Vorträge bist Du für viele Wanderinteressierte auch eine wichtige Ansprechpartnerin dafür geworden.
Rühlig: Ja, darüber freue ich mich sehr! Aber das war überhaupt nicht geplant. Meine siebenwöchige Pyrenäen-Durchquerung 2022 habe ich im Vorfeld mit einer Spendenaktion verbunden, jeden der gelaufenen 930 Kilometer habe ich „verkauft“, um das eingenommene Geld an drei Vereine zu spenden, die sich um soziale Projekte kümmern. Nach meiner Rückkehr im September 2022 habe ich dann gedacht, dass ich zum Abschluss der Spendenaktion einen Vortrag über meine Reise halten sollte. Und obwohl ich das nicht unbedingt vermutet hätte, hat mir das sehr großen Spaß gemacht und ich habe total viele positive Rückmeldungen dazu bekommen. Und so hat es sich entwickelt, dass ich mittlerweile auch Wanderführer schreibe und regelmäßig Vorträge halte.
Wenn ich mehrere Tage oder gar Wochen zu Fuß unterwegs bin, ändert sich meine Wahrnehmung für Entfernung, für Zeit, für Raum komplett.
Nina Rühlig
In einem Webinar/Seminar vermittelst Du auch, was zu einer guten Vorbereitung einer Fernwandertour gehört.
Rühlig: Ich habe das in drei Aspekte unterteilt: Wie wähle ich einen Weg aus. Wie bereite ich mich darauf vor und welche Ausrüstung benötige ich. Und der dritte Teil beschäftigt sich mit dem, was für die meisten Teilnehmer im Vorfeld am hemmendsten ist: Wie man mit Ängsten umgeht.
Dann lass uns die Aspekte gerne mal nacheinander im Schnelldurchlauf durchgehen. Wie finde ich den für mich passenden Weg?
Rühlig: Wichtige Schlagworte sind Können, Erfahrung und Zeit. Für die Wegeauswahl muss ich wissen, ob ich beispielsweise seilgesicherte Wege gehen oder ein Schneefeld queren kann. Das kann sonst sehr gefährlich werden. In welcher Jahreszeit bin ich unterwegs, welches Wetter und welche Witterung habe ich zu erwarten? In den Vogesen bin ich beispielsweise im Februar 2024 in Schneestürme reingekommen. Habe ich dann die passende Ausrüstung dafür? Ich muss mir vorher anschauen, ob es die Möglichkeit gibt, einen Wanderweg abzubrechen, wo die Ausstiegsoptionen sind. Und zentral ist natürlich auch, wie viel Zeit ich überhaupt habe: Anreise, Abreise, vielleicht mal ein Pausentag, das muss man alles einrechnen. Man sollte sich nicht überfordern, das Erlebnis soll Spaß machen und ich persönlich möchte auch immer Zeit haben für Gespräche mit Menschen auf dem Weg. Und was die Wegeschwierigkeit angeht: Gerne den Kontakt suchen zu Profis, etwa Schwarzwaldverein oder Deutscher Alpenverein – die haben klare Kriterien dafür, was man wo können muss und geben oft auch gute Hinweise auf passende Wege.
Welche Ausrüstung brauche ich?
Rühlig: Das hängt natürlich mit der Wegeauswahl zusammen. Laufe ich am Meer oder im Gebirge? Davon hängt ab, welche Schuhe ich brauche, welchen Wetterschutz, ob Stöcke nötig sind und technische Dinge wie Steigeisen, Klettersteigausrüstung, Helm. Ob ich einen sehr warmen oder eher leichteren Schlafsack benötige. Und welches Kochzeug nehme ich mit? Bin ich in einer sehr kalten Gegend, habe ich vielleicht mit dem Gaskocher Probleme. Und kriege ich dort, wo ich hingehe, meine Gaskartuschen überhaupt? Ich laufe mit maximal 7,5 bis 8 Kilogramm Gewicht, Verpflegung und Wasser kommen dann noch dazu. Zu meinem Luxus gehören ein warmer Schlafsack, eine gemütliche Daunenjacke und ein E-Book-Reader. Ein Erste-Hilfe-Set habe ich auch immer dabei. Ich achte darauf, dass ich ein Gepäckteil für mehrere Dinge nutzen kann. Ich bin reduziert unterwegs und genieße das sehr. Es gibt mir eine große Leichtigkeit. Und ich merke immer wieder, mit wie wenig ich auskomme und glücklich bin. Wenn mir mal etwas fehlt, dann ist es nichts Materielles, sondern die Menschen, die mir wichtig sind.
Bleibt das Thema Angst.
Rühlig: Da gehe ich immer sehr in den Austausch mit der Gruppe, wo aus ihrer Sicht Gefahren und Ängste lauern. Das sind auch verschiedene, individuell geprägte Aspekte: Mal ist es die Angst, den Weg allein vielleicht nicht zu finden – man kann sich da aber gut rantasten, im Schwarzwald gibt es beispielsweise die bestens ausgeschilderten Premiumwanderwege, auch in Frankreich ist das Wegenetz toll markiert. Dann gibt es die Angst vor klaren Gefahren, etwa Gewitter im Gebirge – da erkläre ich, welche Strategien es gibt. Und dann werde ich oft gefragt, ob ich keine Angst habe, allein als Frau unterwegs zu sein. Da berichte ich einfach von meinen Erfahrungen, worauf ich achte und wie ich Schlafplätze draußen finde. Ängste muss man aus meiner Sicht zulassen – es gilt aber abzuwägen, ob sie mit einer realen Gefahr verbunden sind, ob sie mich blockieren oder mir andererseits sogar Power geben können. Vieles wird einfacher durchs „Machen“.
Eine schöne Überleitung zu Deinem Vortrag „Eigene Wege gehen – Wandern als Spiegelbild des Lebens“.
Rühlig: Ja, darüber habe ich mir sehr viele Gedanken gemacht. Im Vortrag geht es viel um den ersten Schritt, was das Wandern mit einem macht und was ich davon mit in den Alltag nehmen kann. Aufbrechen, Unterwegssein, Mut haben, Ängste zulassen, Grenzen anerkennen und Herausforderungen annehmen – das alles sind weit übers Wandern hinausreichende Aspekte. Ich möchte Menschen dazu inspirieren, etwas zu probieren, mutig zu sein und auch offen und neugierig. Den eigenen Weg zu gehen, ob jetzt für zwei Tage oder für zwei Monate.
Es geht also viel darum, ein Gespür für sich selbst und sein Können zu entwickeln, jenseits von einer Rekordjagd.
Rühlig: Genau, Rekorde oder Extreme braucht es gar nicht. „Westweg“, der „Fischerweg“ in Portugal oder die Pyrenäen-Durchquerung – das können mit Vorbereitung, Selbstvertrauen und Motivation fast alle. Es geht ums Machen und nicht ums Schaffen von irgendwelchen Höchstleistungen. Wenn ich an einem Tag mal nur zehn Kilometer laufe, weil dann ein schöner See oder eine schöne Berghütte kommt oder ich einfach mal mit jemand quatschen möchte auf dem Weg, dann ist das ok und gut so. Wer selbst offen ist, wird auf Wanderwegen tolle Erlebnisse haben und besondere Entdeckungen machen. Und wer lernt, auf sich zu hören und den eigenen Rhythmus zu gehen, wird die Zeit umso mehr genießen.
Zur Person:
Nina Rühlig ist studierte Försterin, arbeitet freiberuflich im Bereich Energie und Klima und lebt nach Stationen in u.a. Freiburg in Rottenburg und Lahr. In ihrer Kindheit und Jugend hat sie viel Zeit im Allgäu verbracht, daher stammt ihre Leidenschaft für die Berge und das Wandern. Immer wieder nimmt sie sich Zeit für lange Fernwandertouren, war schon zweimal im SWR-Format „Expedition in die Heimat“ als Wanderexpertin zu sehen und schreibt über ihre Wander-Erlebnisse für Magazine und auf ihrer Website. Im Conrad-Stein-Verlag ist 2024 ihr Reiseführer über den „Fischerweg“ in Portugal erschienen, im Frühjahr 2025 kommt ein Wanderführer über die Durchquerung der Vogesen. Neben drei Vorträgen – über ihre Pyrenäen-Durchquerung auf dem „GR 10“, den „Fischerweg“ in Portugal und „Eigene Wege gehen – Wandern als Spiegelbild des Lebens“ – vermittelt sie in einem Webinar/Seminar auch alles Wissenswerte für die Vorbereitung einer Fernwandertour. Termine und alle Infos unter www.ninawandert.de
Interview: Michael Gilg
Fotos: Nina Rühlig, Hans Schmidt, Schwarzwald Tourismus, Michael Sauer, Tourist-Information Forbach, Ruppertfilm, DZT/Francesco Carovillano, Patrick Kunkel, Klaus-Peter Kappest, Klaus Hansen
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