Container

 

Die Sonne scheint, der Tau glänzt auf den Wiesen, der Regen der letzten Tage hat der Natur gut getan – ein perfekter Tag für eine Kräuterwanderung auf dem Freiburger Hausberg Schauinsland. Die Schwarzwälderin Ursel Lorenz wartet vor dem Hotel »Die Halde« auf knapp 1200 Metern Höhe auf ihre heutigen Gäste. 

Mit Ursel (Jahrgang 1958) ist man gleich per Du, sie begrüßt die Gruppe mit einem warmen Lächeln und einer Ausstrahlung, die sofort Vertrauen schafft. »Jede Wanderung ist anders«, erzählt sie. Es blühen je nach Saison unterschiedliche Pflanzen, mal sorgt das Wetter für eine Überraschung – aber vor allem sind es die Menschen, die jede Tour einzigartig machen. Manche fragen viel, wollen alles wissen. Andere bleiben still, hören nur zu und lassen alles auf sich wirken. »Manchmal bin ich einfach nur Zuhörerin«, sagt sie. Die Menschen öffnen sich, wenn sie draußen sind. Sie spüren die Verbindung zur Natur – und finden oft zu einer inneren Einkehr. 

Vielleicht liegt das aber auch an Ursel selbst. Mit ihrer einfühlsamen Art stellt sie sich auf jede Gruppe neu ein, hört zu, fragt nach und erzählt Geschichten aus ihrem eigenen Leben. Ein Leben, das fest verwurzelt ist im Schwarzwald: Geprägt von den Frauen in ihrer Familie – ihren beiden Großmüttern, ihrer Großtante Luise und ihrer Mutter –, von den Bauernhöfen ihrer Eltern im Wittental und im Zastlertal, den Blumen- und Kräuterwiesen im Dreisamtal und der frühen Faszination für alles, was blüht und sprießt. 

»Die wunderschönen, bunten Bauerngärten meiner Oma haben mich schon als Kind fasziniert«, erinnert sich Ursel. »Ich wollte immer wissen, was dieses und jenes ist, wie diese Blume und jenes Pflänzchen heißt.« Auch ihre Großtante Luise, die als Krankenschwester mit ihren Heilkräutern während der Medikamentenknappheit im Zweiten Weltkrieg und in den Nachkriegsjahren erstaunliche Erfolge erzielte, prägte Ursels Kindheit. Sie lehrte sie viel über die Wirkung der Wildkräuter und Blumen im Südschwarzwald. 

Was einst mit ihrer Großtante und Großmutter begann, setzte Ursel durch eigene Erfahrungen und die Bücher von Kräuterfrauen wie Hildegard von Bingen fort. Dieses Wissen weiterzugeben wurde ihre Berufung. 2007 begann sie als Gästeführerin am Schauinsland zu arbeiten, 2012 machte sie sich mit ihrer Wanderfirma »NaTour pur« selbstständig. Seitdem bietet sie das ganze Jahr über rund um den Schauinsland Kräuterführungen, Panoramawanderungen, Wetterbuchen-Exkursionen, Sonnenuntergangstouren oder Schneeschuhwanderungen an. Dabei bringt sie ihren Gästen nicht nur die Magie der Wildkräuter nahe – sondern auch die ihrer Schwarzwälder 
Heimat.

Die wunderschönen, bunten Bauerngärten 
meiner Oma haben mich schon als Kind fasziniert. Ich wollte immer wissen, was dieses und jenes ist, wie diese Blume und jenes Pflänzchen heißt.

Ursel Lorenz

 

Ursels Wunsch ist es, mit ihren Wanderungen die Gäste für die Schönheit und die Reinheit der Natur zu sensibilisieren. »Wenn man Zeit mitbringt und etwas Ruhe, wenn man auch einmal stehen bleibt und innehält, zeigt sich einem die sehr große Vielfalt«, schwärmt sie. Wenn Ursel ihren Gästen während der Wanderungen die Natur auf dem Schauinsland näherbringt, spürt man ihre Zuneigung zu jedem Kraut, jeder Blume und jedem Baum. Heidelbeere, Habichtskraut und Augentrost können bei Augenbeschwerden helfen. Frauenmantel wirkt bei Zyklusbeschwerden und hormonellem Ungleichgewicht. Bärwurz, Schafgarbe, Ehrenpreis und Spitzwegerich werden seit Generationen für ihre Heilkraft geschätzt. 

Doch bei einem dieser Kräuter beginnen Ursels Augen ganz besonders zu leuchten: Die Arnika, die entlang des Schauinsland-Höhenwegs wächst, ist für sie eines der großen Merkmale der Region – und die Königin der Kräuter. Während die Arnika in den 1980er-Jahren nahezu vom Aussterben bedroht war, steht die Pflanze mit den sonnengelben Blütenblättern heute unter Naturschutz und zeigt sich Wanderern meist von Ende Mai bis Ende Juni. Ihre Heilkraft liegt in ihrer Fähigkeit, stumpfe Verletzungen wie Prellungen, Verstauchungen oder Entzündungen zu lindern – sie sollte daher in keiner Hausapotheke fehlen. 

Neben der Arnika gehören für Ursel auch die zahlreichen Wetterbuchen, die sich imposant über das gesamte Landschaftsschutzgebiet verteilen, zu den Wahrzeichen, die den Schauinsland so einzigartig machen. Für sie sind die Bäume Zeugen aus einer längst vergangenen Zeit, denn die verbogenen und zerzausten Äste der knorrigen Buchen sind von Stürmen, Schnee, Eisschlag und dem Wetter der letzten bis zu 400 Jahre gekennzeichnet. So entwickelt sich jede Wetterbuche anders und hat, laut Ursel, ein eigenes Gesicht – und eine eigene Geschichte zu erzählen. 

Ursels Liebe zu diesen Bäumen und ihre Wetterbuchenwanderungen bildeten auch die Grundlage für ihr erstes Buch »Heimat Schauinsland… und die Wetterbuchen«, das sie 2021 veröffentlichte. Zwar träumte Ursel schon lange davon, ein eigenes Buch zu schreiben, doch es waren die zahlreichen Nachfragen ihrer Gäste, die ihr den Mut gaben, ihr Wissen zu Papier zu bringen. Neben spannenden Fakten über die Buchen erzählt das Buch auch die Geschichte Hofsgrunds – dem 580-Personen-Bergdorf unterhalb des Schauinslandgipfels, das Ursel und ihre Familie sich zu ihrem Zuhause gemacht haben. So schreibt sie über die jahrhundertealten Bergbauernhöfe und gibt auch ehemaligen Hirtenkindern und deren Erzählungen Raum. 

2024 folgte ihr zweites Werk »Meine Wildkräuter und Blumen am Schauinsland«, in dem sie auf 196 Seiten ihr gebündeltes Wissen über die wichtigsten Pflanzen im Südschwarzwald zusammengetragen hat. Auch zahlreiche Anekdoten ihrer beiden Großmüttern, ihrer Großtante Luise und ihrer Mutter finden in dem schön gestalteten Werk Platz. »Mein Buch soll einfach zu verstehen sein, es soll schön anzusehen sein und euer Herz berühren«, schreibt sie im Vorwort. Sie möchte Menschen dazu inspirieren und ermutigen, nach draußen zu gehen, Kräuter zu bestimmen und zu verstehen, was diese bewirken. 

Fragt man Ursel nach noch offenen Träumen, kommt sie wieder zurück zur Literatur – sie möchte mehr schreiben: über ihre Familiengeschichte, aber auch über die vielen wundersamen, inspirierenden und manchmal auch emotionalen Begegnungen mit ihren Wander-Gästen. 

Man spürt Ursels Liebe zu ihrer Arbeit. Sie genießt es, nicht nur ihre Geschichten in die Welt zu tragen, sondern auch, von anderen mehr zu erfahren. »Ich weiß ja auch nicht alles und möchte selbst weiter dazulernen«, sagt sie. Ob es neues Wissen über Kräuter ist, Geschichten aus dem Leben oder gar ein neues Rezept für einen gesunden Löwenzahn-Kartoffelsalat – sie schätzt den Austausch. Und oft, so glaubt sie, hat es einen Grund, wieso sich Menschen mit ihr auf den Weg machen und beide Seiten von der gemeinsamen Zeit profitieren können. 

Ursel Lorenz ist also weit mehr als eine Gästeführerin – sie ist Geschichtenerzählerin, Kräuterexpertin und Brückenbauerin zwischen Mensch und Natur. Ihre Großtante Luise vermachte ihr nicht nur ihre Kräuterbücher, sondern auch das Interesse an Menschen und das tiefe Verständnis für Kräuter. Dieses Erbe teilt sie heute in ihren Wanderungen, Vorträgen und Büchern – mit ganz viel Herzblut und einer tiefen Verbundenheit zu ihrer Heimat. Wer mit ihr unterwegs ist oder in ihren Büchern blättert, lernt den Schwarzwald, seine Natur und seine Geschichten vielleicht mit anderen Augen zu sehen.

 

Info

Alle Infos zu den Touren und Büchern von Ursel Lorenz gibt es unter www.natourpur-schauinsland.de

Viele weitere unterhaltsame, informative und spannende geführte 
Touren zu den unterschiedlichsten Themen bieten auch die Guides in der 
Ferienregion Schwarzwald an unter www.guide-portal-schwarzwald.info

Text: Romy Baberske

Fotos: Pia Huber, Schwarzwald Tourismus; Ursel Lorenz