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Eine Kuckucksuhr sucht man bisher vergebens. Weder hat eine klassische bisher ihren Weg ins Kesselhaus gefunden – noch eine von Stefan Strumbels ikonischen Neuinterpretationen, mit denen vor gut zehn Jahren die Back-to-be-cool-Bewegung des Schwarzwalds anfing. Lange vor Scherzinger und Wehrle, lange vor uns war es Graffiti-van-Gogh Stefan Strumbel, der Tannenzapfen durch Handgranaten ersetzte, bei dem Bambi gar nicht mehr so unschuldig wirkte und der uns in neonbunt entgegenstrahlte: Heimat loves you!

Aber auch ohne Cuckoo Clock muss man einfach erst mal stehen bleiben. Gucken. Den Blick schweifen lassen. Über die gigantischen, schwarzen Sprossenfenster hinweg die weißen Wände hoch, über die Brücke mit den alten Schalttafeln hinweg. „Wann strahlst du?“, ruft uns ein Schriftzug entgegen. Dann fallen die tannengrünen Fliesen ins Auge und die hohe Decke, unter der ein alter Kran noch immer seinen Dienst tut. Ein aus Cortenstahl gegossener rostroter Tannenzapfen hängt daran, eines der bekannten Werke von Stefan Strumbel, der gleich daneben an einem kleinen Tischchen sitzt und Drucke signiert. „A beautiful thing is never perfect“ steht darauf und natürlich bezieht sich diese Erkenntnis auch auf das zum Atelier umgebaute Kesselhaus auf Offenburgs altem Spinnereiareal. Ein Ort, der für die Entwicklung des Städtchens zur Stadt eine große Rolle gespielt hat.

Dass Offenburg ab 1857 über fast 150 Jahre hinweg ein Zentrum der Baumwollverarbeitung am Oberrhein war, wissen in der Stadt nur noch die wenigsten. Tatsächlich aber ratterten bis in die Mitte der 1990er-Jahre hinein Spinnmaschinen und Webstühle am Mühlbach. Rund 800 Arbeiter waren es in Spitzenzeiten und heute ist man froh, dass von der historischen Bausubstanz im Westen der Stadt zumindest ein bisschen was erhalten blieb: der Spinnerei-Hochbau, ein Teil der früheren Werkswohnungen und das vermutlich um 1906 erbaute sogenannte Kesselhaus, in dem früher eine Dampfmaschine die Fabrik zum Laufen brachte. Dass dieses Kesselhaus so eine wunderschöne, haushohe Fensterfront hat, lag daran, dass immer mit Explosionen oder Verpuffungen zu rechnen war – und dann war es allemal besser, wenn nur die Fenster kaputtgingen und nicht gleich das ganze Gebäude einstürzte.

Ein Gesamtkunstwerk: Das Offenburger Kesselhaus wirkt besonders eindrucksvoll während der blauen Stunde zur Morgen- und Abenddämmerung.
Ein Gesamtkunstwerk: Das Offenburger Kesselhaus wirkt besonders eindrucksvoll während der blauen Stunde zur Morgen- und Abenddämmerung. – © Jan Reiff/#heimat

Ein Kunstwerk für sich

Drei Jahre hat die Verwandlung von der Ruine zum Rohdiamanten gedauert. Der große Raum, wo früher die mannshohe Dampfmaschine stand, hat einen neuen Boden bekommen. Fein polierter Beton als Leinwand für das Licht, das durch die acht Meter hohen Sprossenfenster scheint und immer neue Linien auf den Boden malt. In der Ecke steht eine waldgrüne Sitzecke von Vitra, dazu ein bunt gefliester Tisch des Berliner Künstlers Eric Winkler, der mit seinen handgemachten Keramiken auch das stille Örtchen scheiße schön verwandelt hat.

„Ein bisschen ist das Kesselhaus eine gigantische Plastik, ein Kunstwerk für sich“, sagt Stefan Strumbel. Denn natürlich gibt es funktionellere Gebäude als einen Kubus mit zehn Metern Deckenhöhe, der so schön ist, dass man ihn eben nicht mit Zwischendecken, einem Haus-im-Haus-Konzept oder Ähnlichem entweihen sollte. Bei jeder anderen Nutzung aber wäre das sicher der Fall gewesen, und so ist auch die Aussage von Offenburgs OB Marco Steffens zu verstehen, der bei der Eröffnung des Ateliers an die Adresse Strumbels sagte: „Sie haben dem Gebäude mehr Leben gegeben, als wir es hätten tun können. Man kann sich keine bessere Nachnutzung vorstellen als das Atelier eines international renommierten Künstlers, der auch noch aus Offenburg kommt.“

Wer ein Faible für Architektur hat, den begeistern die Kontraste. Die fein ziselierten Sprossenfenster, die sorgsam gesetzten Backsteine der strukturierten Fassade mit ihrem weithin sichtbaren Industriellenstolz – und davor die brutalistische Treppe aus hochfeinem SB3 Sichtbeton. Von Weitem wirkt die Treppe wie ein Sockel unter einer Plastik, und auch das ist sicher kein Zufall. Nach Westen hin durfte das Kesselhaus dagegen seine narbige, raue Wand behalten. Hier grenzte dem Historiker Volker Ilgen zufolge ein Haus mit großer Kohlefeuerung an, das abgerissen wurde.

Ein bisschen ist das Kesselhaus eine gigantische Plastik, ein Kunstwerk für sich

Stefan Strumbel, Künstler

Sunset mit Sandwiches

Wer genau hinsieht, findet auch an dieser Wand noch einige der grünen Kacheln, die auch im Innern des Kesselhauses verbaut wurden und die Wände strukturieren. „Drinnen haben einige gefehlt“, verrät Strumbel. „Wir haben daher ganz vorsichtig draußen ein paar abgelöst und die fehlenden Kacheln ersetzt.“

Das Kesselhaus dient seit dem Frühsommer 2023 als Atelier mit praktischem Kran – und als Gastraum, wenn der Mälzer mal wieder in der Stadt steht, um mit seinem Freund Stefan erst den Markt zu plündern und dann zu zeigen, dass in Küchen nichts impossible ist. Auch eine Etage tiefer kann man himmlische Momente erleben, denn im Keller mit seinen wuchtigen Maschinenfundamenten gibt es eine Rahmerei mit kleinem Shop und weiterem Potenzial für kulinarische Erlebnisse. Im Nebengebäude haben Willi Schöllmann und Martin Kammerer im früheren Labor die Kantine eröffnet und servieren inmitten von moderner Kunst Sandwiches, zu Sonnenuntergängen auf der Sitztreppe vorm Kesselhaus (wie die schmecken, haben #heimat-Leser bereits in Ausgabe 39 lesen können).

Dass ausgerechnet Strumbel das Kesselhaus mit neuem Leben füllt, passt irgendwie. Denn Strumbel hat Heimat neu erfunden. Lange bevor Schwarzwälder Fotografiekünstler wie Sebastian Wehrle und Jochen Scherzinger mit ihren Trachtenporträts Schlagzeilen machten, war er schon ein Star in der Kunstszene. Als „Andy Warhol der Kuckucksuhren“ adelte ihn die Redaktion der „Welt“. Bambi und Kuckucksuhren, Street-Art und Madonnen, Karl Lagerfeld und Hubert Burda: Strumbel steht für Tradition und Transformation. Laut und provokant, hintersinnig und feinfühlig, bunt und erinnernswert.

Oben hui und unten hui: Blick ins Untergeschoss, lichtdurchflutet dank Tierhof und von einer brachialen Schönheit. Hier wird Kunst gerahmt - und im privaten Rahmen fein getafelt.
Oben hui und unten hui: Blick ins Untergeschoss, lichtdurchflutet dank Tierhof und von einer brachialen Schönheit. Hier wird Kunst gerahmt - und im privaten Rahmen fein getafelt. – © Jan Reiff/#heimat

Der letzte Diamant

„Ich habe ewig nach so etwas gesucht“, sagt Strumbel, der mit seinem Atelier unbedingt in Offenburg bleiben wollte. Der Familie und der Freunde wegen. Seine Kunst hängt in den besten Galerien der Welt, sie wird in New York und Paris ausgestellt, in Köln, Düsseldorf und Berlin, aber Strumbel – der hängt an Offenburg. „Für mich ist das hier der letzte Diamant in Offenburg, denn alles, was es sonst an alten Industriehallen gab, ist totsaniert worden.“

Für Stefan Strumbel ist das Kesselhaus nicht der erste Umzug. „Angefangen habe ich gleich hier ums Eck, nur 100 Meter Luftlinie“, erzählt er. „Jetzt aber bin ich wirklich angekommen. In meinem Traumstudio. Denn dieser Raum hat so viel Energie, die man spüren kann, das Licht ist so wahnsinnig schön – hier will ich bleiben!“

Mehr Infos finden Sie hier: www.kesselhaus-offenburg.de   

Mehr davon? Weitere Geschichten wie diese von #heimat-Herausgeber Ulf Tietge finden Sie auf den Seiten unseres Medienpartners #heimat Schwarzwald

Text: Ulf Tietge

Fotos: Jan Reiff/#heimat