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Der Schwarzwald hat das Potenzial, die Menschen wieder zu erden.

Elmar Langenbacher

Cover Als Oma noch lebte

Ein Buch für Alle

Verbindung der Generationen

 

Ein bisschen ausholen muss man schon, aber das macht ein guter Geschichtenerzähler schließlich auch nicht anders. Elmar Langenbacher, Jahrgang 1967, hat nicht sein ganzes Leben darauf ausgerichtet, dieses Buch zu schreiben – es trägt den pragmatischen Titel „Als Oma noch lebte. Eine Kindheit im Schwarzwald“. Vielmehr ist ihm das Buch „passiert“, es musste einfach geschrieben werden. Der Oma sei Dank. Der Anfang dazu liegt aber in einem ganz anderen Arbeitsprojekt, „ein Schicksalsauftrag“, sagt Langenbacher. Prägend für sein Leben seitdem: „Der Wald hat mich wieder geerdet.“

Aber der Reihe nach: Nach dem Abitur studiert Langenbacher an der Freiburger Grafikschule, gründet schon zu Studienzeiten ein erstes Grafikbüro, das er schließlich immer weiter zu einer großen und erfolgreichen Werbeagentur in Offenburg ausbaut. Während Aufträge und Arbeit immer mehr werden, wird er zunehmend zum Verwalter statt Kreativen. Druck, Stress, die Gesundheit leidet. Da kommt 2013 der genannte Schicksalsauftrag – er soll eine Reisereportage über den Kinzigtäler Jakobusweg schreiben. Einen eigenen Rucksack hat er da noch nicht, auch ansonsten begegnet er dem Auftrag „mit der Grundarroganz des Werbefuzzis“ – was soll da schon passieren? Kurz gesagt: Jede Menge. Als sich Langenbacher nach und nach mehr auf den Weg, den Wald, die Langsamkeit, das Unterwegssein einlässt, merkt er: So wie bisher will er nicht weitermachen, es muss was passieren. Die Werbeagentur lässt er auslaufen, im Anschluss gründet er seinen eigenen Verlag, inzwischen hat er seit 2014 mehrere Bücher veröffentlicht, über den Kinzigtäler Jakobusweg, über Hubert Burda, über Senator Franz Burda und ein Märchen aus der Zukunft. Ende 2022 ist das Oma-Buch erschienen.

 

Zehn Jahre hat er an dem Buch gearbeitet, „immer dann, wenn mir die Oma in Gedanken was in die Finger gelegt hat, wenn der Moment da war“. Natürlich ist es ein persönlicher Blick auf seine Kindheit, auf das Hornberg und den Schwarzwald der 1970er Jahre, auf die Bestrebungen der Eltern, dass es die Kinder mal (noch) besser haben sollen, auf den Zeitgeist – und, zunächst am offensichtlichsten, eine Liebeserklärung an die Oma. Über diesen Dreh reichen die 224 Seiten über das persönlich Erlebte und die beschriebene Zeit hinaus – denn automatisch erinnert man sich als Leser selbst an die federleichten Erlebnisse mit den Großeltern, bei denen ja oft die alltagsstrengen (und notwendigen) Regeln der Eltern mal weniger stark galten, mal aufgehoben waren. Ein Buch also, das die Generationen lesend verbinden kann.

Langenbacher macht aber auch klar deutlich, wo uns die Siebziger kein Vorbild sein können: Totschweigen der Vergangenheit. Keine Erzählungen. Verdrängen. „Keine Aufarbeitung der Verluste“, heißt es im Buch. „Nicht für die Oma (früher Verlust der eigenen Mutter, noch früherer Verlust der eigenen Tochter, Kriegstod des Ehemanns kurz vor Ende des Zweiten Weltkrieges, den Bruder im Ersten Weltkrieg verloren), nicht für uns Enkel. War halt so.“

Diese Sentenz, die das Aufwachsen von Langenbacher prägte, war, um im Duktus zu bleiben, halt in vielen Familien/der Gesellschaft noch der Zeitgeist (auch wenn u.a. die 68er in den Städten und peu á peu auch die jungen Lehrer an den Schulen langsam für einen Bewusstseinswandel sorgten).

Die andere wiederkehrende Sentenz der Kindheit lautete: „Muesch halt uffbasse.“ Vorgetragen von der Oma, die mehr erlaubte als verbot und zur Eigenverantwortlichkeit, neudeutsch „Learning by Doing“, erzog (wohl weniger Erziehungskonzept denn gelebte Erfahrung – zum Glück ist soweit immer alles gut gegangen).

Der Wald hat eine Urkraft, allein die Stille und das Licht zu erleben - das ist eine Form von Reichtum.

Elmar Langenbacher

Mit immer leichter und manchmal spitzer Feder erzählt Langenbacher von diesen mit Oma erlebten Geschichten: einer Fahrt auf der Schwarzwaldbahn (nur von Hornberg bis Triberg, nicht an den Bodensee), den Waldspaziergängen und Bastelnachmittagen, dem Kaba mit frischer Milch oder der Oma als wandelndem Naturlexikon und Laien-Logopädin, die dem Bubi mit einem Trick das Badische -sch beibringt.

Geändert hat sich viel seit damals, und zum Glück auch in deutlich wichtigeren Bereichen als dem Essensangebot der „kalten Platten mit Pumpernickel, Hawaii Toast, Ei mit Mayonnaise, Spargel in Schinken gerollt…“. Technisierung, Digitalisierung und Globalisierung haben ohne Zweifel ihre guten und wichtigen Seiten, aber das Bild des sich immer zügiger drehenden Hamsterrads dürfte auch das Grundgefühl vieler Menschen in saturierten Ländern treffen. „Die Omas und Opas kommen ins Heim und die Enkel in Kinderganztagesstätten. Ist halt so. Immer schneller. Immer weiter. Immer höher. Immer mehr“, heißt es im Buch. „Die Menschen sind müde“, sagt Langenbacher im Gespräch, „weil sie gelernt haben: rennen, schaffen, Häusle bauen. Die Gesellschaft ist immer schneller geworden, wir sind übersättigt und wollen dennoch immer mehr.“

Nicht verändert, im Sinne des ruhenden Pols, der den Menschen entschleunigen und ihm guttun kann, haben sich der Schwarzwald und seine, wie Langenbacher es nennt, „Urwerte“. Er könne „nur jeden animieren, mal im Wald spazieren zu gehen, idealerweise alleine oder auch mal schweigend in der Gruppe, dann wird man sie spüren, sofern man sich darauf einlässt.“ Langenbacher hat es selbst erlebt auf dem Jakobusweg: „Der Wald hat eine Urkraft, allein die Stille und das Licht zu erleben – das ist eine Form von Reichtum.“ Und, gesamtgesellschaftlich gesprochen: „Der Schwarzwald hat das Potenzial, die Menschen wieder zu erden. Einfach mal den Rucksack schnappen, in den Wald eintauchen, ein paar Tage wandern und abends mal anders erschöpft sein“, sagt Langenbacher, „ich glaube, das kann uns helfen.“

Glücklicherweise hat der Autor, der seine Bücher in einer bewusst demütig eingerichteten Stube hoch über dem Käppelehof in Hausach schreibt, kein Pamphlet veröffentlicht. Zweck des Buches ist es nicht, zu urteilen. „Ich will nicht der Oberlehrer für andere sein. Aber vielleicht kann das Buch ein kleiner Anreiz sein, damit die Menschen selber erkennen, dass etwas weniger möglicherweise ja auch reichen könnte.“ 

 

 

Dass er mit seinem Buch einen Nerv des Zeitgeists getroffen hat, belegen die Verkaufszahlen (das Buch geht in die 2. Auflage) und die Rückmeldungen der Leserinnen und Leser. Über eigene Erinnerungen entstehe eine gewisse Nostalgie, vor allem aber eine Sehnsucht nach der Langsamkeit, interpretiert Langenbacher. Und, daran anknüpfend, vielleicht auch nach Einfachheit und Zufriedenheit.

Ich will nicht der Oberlehrer für andere sein. Aber vielleicht kann das Buch ein kleiner Anreiz sein, damit die Menschen selber erkennen, dass etwas weniger möglicherweise ja auch reichen könnte.

Elmar Langenbacher

 

Hat das, mal so ganz verallgemeinernd gesprochen, die jüngere Generation vielleicht schon besser verstanden? Mehr Work-Life-Balance statt Karriere, mehr Mikroabenteuer vor der Haustür statt häufige Fernreisen, mehr Nachhaltigkeit statt „Wohlstandsmüllzeitalter“? Von seiner Schreibstube hat es Langenbacher nicht weit zur Hohenlochenhütte. Sie liegt am bereits 1900 angelegten „Westweg“, öfters geht er dort morgens mit Kaffee oder abends auch mal mit einer Flasche Wein hin – und kann bestätigen: Viele der Fernwanderer, auch aus dem Ausland, sind in ihren 20ern. Und bleiben mitunter auch mal länger, so schön ist der Ausblick über den mittleren Schwarzwald in 689 Metern Höhe. „Wir leben in einer Perle“, sagt Langenbacher, „und können uns glücklich schätzen, hier zu wohnen.“

Sein Buch endet mit einer schönen Idee: Mal wieder einen altbekannten Weg laufen, den man als Kind gegangen ist. Gewissermaßen ein Stück weit durch sein eigenes Leben gehen. Tradition sehen, das Gleichbleibende und die Veränderung. Und dabei vielleicht merken, was wichtig ist und was nicht.

Elmar Langenbacher im Talk bei SWR 1 Leute:
Hier geht es zur Sendung

Mehr Infos unter www.elmar-langenbacher.de

 

Text: Michael Gilg
Bilder: Elmar Langenbacher Verlag/Jakob Wolber