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Das Rheinfloß war ein Traum von mir und ein großes Erlebnis. Überall wurden wir mit offenen Armen empfangen.

Thomas Kipp

 

Träume können wahr werden. Es ist oft nur eine Frage der Beharrlichkeit. Thomas Kipp gehört zu diesen beharrlichen Typen. Wenn er eine Idee hat, lässt er nicht locker, vor allem, wenn diese Idee etwas mit der Flößerei zu tun hat. Seine Idee war es, mit dem Floß eines Tages auf dem Rhein zu fahren. So wie damals, als die Holländertannen auf die Reise geschickt wurden.

Ein Hauch von Nostalgie und Abenteurergeist trieben ihn an sowie ein Versprechen, das er seiner Schwester gegeben hatte: Die wohnt in Leverkusen-Hitdorf am Rhein, an einem historisch bedeutsamen Floßhafen, der einst Umschlagplatz für Schwarzwälder Langholz war. „Eines Tages“, sagte Kipp zu seiner Schwester, „komme ich dich mit dem Floß besuchen“.

 

Dieser Tag kam im April 2022. Nach gut einer Woche auf dem Wasser, landeten die Schwarzwälder Flößer in Hitdorf. Da hatten sie eine Vielzahl von Hürden genommen. Die schlimmsten waren bürokratischer Art. Der Rhein ist heute eine vielbefahrene Bundeswasserstraße und da ist für Flöße eigentlich kein Platz.

Entsprechend kompliziert gaben sich die Behörden. Doch Thomas Kipp ließ nicht locker. Der Mann weiß, wie es geht, hat als Gemeinderat und ehrenamtlicher Ortsvorsteher des Weilers Lehengericht schon den einen oder anderen Strauß ausgefochten. Ein Gutachten für die Rheintauglichkeit des Floßes? Bitte schön, wenn Ihr das haben wollt. Ein Binnenschifferpatent? Meinetwegen, auch damit konnte er dienen.

Ich bin an der Kinzig groß geworden. Schon als Kind habe ich beobachtet, wie leicht Holz auf dem Wasser schwimmt.

Thomas Kipp

Und so ging das Schwarzwald-Floß aus 15 Fichtenstämmen tatsächlich in Steinmauern an den Start. Dort, wo die Murg in den Rhein mündet, und viele alte Floßverbände ablegten, begann ihre Reise. Sie wurde zu einem Triumphzug. „Überall wo wir hinkamen, wurden wir mit offenen Armen empfangen“, schwärmt Thomas Kipp. Von den Ufern, den Fracht- und den Kreuzfahrtschiffen winkten ihnen die Menschen zu.

Es war ein fantastisches Erlebnis, die Dörfer und Städte am Mittelrhein vorbeiziehen zu sehen: Rüdesheim, Bacharach, Bingen und die Loreley. „Davor“, sagt Kipp, „hatten wir natürlich Respekt.“ Doch die Crew war gut vorbereitet, hatte GPS an Bord sowie einen Floßmeister, der sein Handwerk versteht. Der Floßmeister ist eine Art Kapitän der schwimmenden Holzplattform, seit vielen Jahren bekleidet Kipp nun dieses Amt bei den Schiltacher Flößern.

Er hat sich reingefuchst in das Metier, Jahr für Jahr ein wenig an Fertigkeiten dazugewonnen, bis er schließlich fast alles beherrschte, was man bei der Flößerei beherrschen kann: Das Lenken der Gestöre, wie die einzelnen Verbände heißen, das Drehen der Wieden, mit denen die Stämme zusammengehalten werden, das Zurechtschneiden des Holzes, das für den Floßbau benötigt wird.

Dabei war Thomas Kipp die Flößerei nicht in die Wiege gelegt. Erst spät in seinem Leben kam er dazu, auch weil ihn der Bürgermeister von Schiltach gefragt hatte. Einen ganz natürlichen, fast intuitiven Bezug zum Thema hatte er jedoch von Anfang an. „Ich bin an der Kinzig groß geworden“, sagt er, „und habe nach jedem Hochwasser fasziniert beobachtet, wie leicht Holz schwimmt.“

Später wurde er Elektromeister in einem Sägewerk an der Kinzig. Wasser und Holz haben ihn ein Leben lang begleitet und vielleicht war deshalb der Schritt zur Flößerei für ihn nur noch ein ganz kleiner. Er ging ihn fest entschlossen und wurde bald Vorsitzender der 1998 gegründeten Schiltacher Flößer.

 

 

Kipp gab sich nicht mit den örtlichen Traditionen zufrieden. War neugierig, welche Verbindungen es in anderen Regionen und anderen Länder in Europa gab. Die Schiltacher wurden Mitglied in der Deutschen und der Internationalen Flößervereinigung. Die jährlichen Treffen weiteten den Blick und erschlossen manch unbekanntes Revier.

So war Thomas Kipp zwischenzeitlich Floß fahren auf der Elbe, dem Neckar, in Katalonien, Bosnien und Italien. Sein Lieblingsfluss jedoch ist die Drau in Kärnten, weil dort kilometerlang keine einzige Staustufe und kein einziges Wehr kommen: „Ein Traum für jeden Flößer.“

Das größte aller Erlebnisse war dennoch die Rheinfahrt. Sie diente auch dazu, ein Anliegen zu untermauern, das Thomas Kipp schon lange eine Herzensangelegenheit war: die Aufnahme in den Kreis des immateriellen Weltkulturerbes der UNESCO.

 

Die UNESCO-Anerkennung war eine große internationale Anstrengung. Ein Zeichen dafür, welchen Stellenwert die Flößerei hat.

Thomas Kipp

 

Ende 2022 war es soweit. „Eine große internationale Anstrengung“, sagt Kipp, „und ein Zeichen, welchen Stellenwert die Flößerei einst hatte“. Dieses Andenken zu bewahren und lebendig zu erhalten, ist sein Ziel. „Wir sind keine Gaudi-Gruppe und kein Fastnachtsverein“, stellt er mit Hinweis auf die Schauvorführungen bei den Flößerfesten klar.

Besucher haben auf den Flößen deshalb auch nichts verloren. Flößerei ist etwas für Profis und auch heute noch eine ziemlich waghalsige Angelegenheit. Ein Balanceakt wie auf dem Hochseil, mit einer hochkonzentrierten Besatzung, die ihr Handwerk beherrschen muss. „Am Ende“, sagt Thomas Kipp, „ist man immer erleichtert, wenn alles gut gegangen ist.“

Mehr Infos zu den Schiltacher Flößern unter www.schiltacher-floesser.de, mehr Infos zur Flößerei im nördlichen Schwarzwald unter www.mein-schwarzwald.de und zur Flößerei im mittleren Schwarzwald unter www.schwarzwald-kinzigtal.info

 

Text: Andreas Steidel