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Haben Sie ein badisches Lieblingswort, Herr Winter?

Winter: Oh, das ist schwierig, es gibt so viele schöne Wörter. Zu meinen liebsten Verben gehört „zammerenne“. Das führt auch in die Irre, denn ein „Audo zammerenne“ bedeutet, dass jemand einen Totalschaden verursacht hat. Da wir schon beim Thema sind: Toll finde ich auch „Räbbskischd“ für ein minderwertiges Auto. Beim „Schbreißel“ für einen Holzsplitter gefällt mir besonders gut, dass schon phonetisch das Unangenehme deutlich wird. 

Sie sprechen gerade Hochdeutsch, können aber auch anders, oder?

Winter: Natürlich! Badisch ist die erste Sprache, die ich als gebürtiger Karlsruher gelernt habe, Hochdeutsch die zweite. Außerdem liegt mein Lebensmittelpunkt bis heute in der Region. Da ist es doch ganz praktisch, wenn man weiß, was welches Wort im Dialekt bedeutet. Aber ich kann wechseln und spreche beispielsweise Hochdeutsch, wenn ich mit dem Verlag in Berlin telefoniere, in dem mein neues Buch erschienen ist.

Was bedeutet Ihnen der Dialekt persönlich?

Winter: Er gehört zunächst zu meiner Heimat, zur Identität. Man kann im Dialekt aber auch seine Befindlichkeit mit vielen Wörtern ausdrücken, die es im Hochdeutschen gar nicht gibt. Ich liebe zum Beispiel das „Ranzeblitze“, das Wort für Magenschmerzen – das hat für mich schon fast etwas Metaphorisches!

Wie kamen Sie auf die Idee, ein Buch über den badischen Dialekt zu machen?

Winter: Schon vor langer Zeit habe ich festgestellt, dass es kein Buch gibt, das den badischen Dialekt sowohl im Norden als auch im Süden behandelt und über eine reine Wortsammlung hinausgeht. Das wollte ich ändern und etwas schreiben, das sprachwissenschaftlich fundiert ist und trotzdem von Laien verstanden wird. Im Duden-Verlag, der eine schöne Dialekt-Reihe hat, konnte ich dann mein Herzensprojekt realisieren, mit dem ich das Badische auch Nicht-Badenern näherbringen will.

Dabei gibt es das Badische ja streng genommen gar nicht.

Winter: Ja, das ist zum Beispiel beim Bayerischen anders, das stammt tatsächlich vom Geschlecht der Bayern ab. Rein sprachwissenschaftlich gibt es Badisch nicht. Im Norden siedelten die Franken, dort wird Fränkisch in vier Sprachvarianten gesprochen. Aber wenn ich das den Menschen in Karlsruhe erzähle, können sie es kaum glauben. Im Süden des Landes hingegen gibt es Alemannisch in drei Varianten. Man spricht also am Kaiserstuhl durchaus anders als in Karlsruhe – und beides finde ich spannend.

Wie kam dann Baden überhaupt zu seinem Namen? 

Winter: Eine wichtige Frage, auf die ich auch in meinem Buch eingehe. Der Name geht, wie gesagt, nicht auf einen germanischen Stamm zurück. Am Anfang stand ein Ort mit Heilquellen an der Oos, genannt „ze den Baden“, also zu oder bei den Bädern – das heutige Baden-Baden. Im 12. Jahrhundert besaß der damalige Markgraf Hermann II. über dieser Siedlung eine Burg namens „Hohenbaden“, heute als Altes Schloss bekannt. Ab 1112 nannte er sich nach dieser Burg „Markgraf von Baden“.

Aber wenn alle nur Hochdeutsch sprechen würden, fände ich das langweilig.

Frank Winter

Mussten Sie die Wörter sammeln, weil das Badische vom Aussterben bedroht ist?

Winter: Nein, es wird zwar allgemein weniger Dialekt gesprochen als früher. Wenn ich es aber mit anderen Großstädten vergleiche, in denen ich öfter unterwegs bin, ist in Karlsruhe noch sehr viel Dialekt zu hören. Und für viele kleinere Orte im Schwarzwald gilt das sowieso. Also vom Aussterben bedroht ist das Badische sicher nicht.

Warum sollten wir diesen und andere Dialekte überhaupt bewahren?

Winter: Nichts gegen Hochdeutsch – zur Verständigung und als Schriftsprache ist es schon in Ordnung. Aber wenn alle nur Hochdeutsch sprechen würden, fände ich das langweilig. Es ist doch schön, dass es so viele Sprachvarianten mit ihren Besonderheiten gibt. Der Dialekt ist außerdem eng mit der Geschichte verbunden, er verkörpert eine Region.

Das heißt, er spielt auch eine wichtige Rolle für den Schwarzwald, der zum großen Teil zu Baden gehört? 

Winter: Ja, denn er stiftet Identität und gehört zur Sprachkultur – und damit zur Kultur der Region. Viele Wörter im Dialekt sind auch mit der besonderen Geschichte verbunden. Ein tolles Beispiel dafür ist das Adjektiv „heckerisch“, das wir Friedrich Hecker verdanken, dem legendären Kämpfer für Demokratie im Jahr 1848.

Was drückt man damit aus?

Winter: Wenn ein Kind unartig war, hat man es in meiner Kindheit ermahnt: „Sei nicht so heckerisch!“. In dem Fall ist es negativ gemeint. Das Adjektiv steht aber auch für „revolutionär“ und hat dann eher eine positive Bedeutung. Aber ist es nicht großartig, dass es ein Wort gibt, das mehr als 175 Jahre nach Heckers Versuch, Demokratie in Baden zu erkämpfen, noch im Gebrauch ist? Und das nach einem Menschen benannt ist? Dazu fällt mir sonst nur „kafkaesk“ als Beispiel ein.

Das bekannteste badische Wort ist vermutlich „alla“, oder?

Winter: Ja, das wird auch häufig gebraucht in „alla, gut“ oder „alla hopp“. Das kommt vom Französischen „allez“. Im Norden Badens hört man aber auch sehr häufig „ha jo“ als Bestätigung.

Welches Wort war für Sie am kniffligsten zu umschreiben?

Winter: „Aidulfe“ sagt man, wenn man etwas mit übermäßig viel Flüssigkeit versorgt – kein einfaches Wort. „Schdipfle“ bedeutet, jemanden ärgern, aber da schwingt noch was anderes mit, was sich nur umständlich übersetzen lässt. Das gilt auch fürs „ooheiße“, also Aufgaben verteilen. Aber gerade das macht Dialekte auch so spannend.

Sie schreiben, dass sich auf Badisch besonders gut „bruddle“, also schimpfen lässt. Man schreibt den Badenern aber doch weniger Bruddelei, sondern vielmehr Genuss und Lebensfreude zu?

Winter: Ja, das stimmt. Meine Leidenschaft für Kulinarisches ist sicher der Tatsache zu verdanken, dass ich in einer Genussregion groß geworden bin – und natürlich meiner Familie: Meine Mutter kocht hervorragend, mein Opa war ein begnadeter Hobbykoch und meine Uroma ausgebildete Köchin. Ich selbst habe schon einige Kochbücher geschrieben und auch in meinen Schottland-Krimis ermittelt ein Food-Journalist. Doch zurück zum Schimpfen: Der Badener macht das zwar nicht häufig, aber kann es, wenn‘s nötig ist. Und dann kennt er dafür viele tolle Ausdrücke, zum Beispiel den „Loddl“ für Schlamper oder den „Schprichbeidel“ für Angeber.

Was können Einheimische aus Ihrem Buch lernen?

Winter: Vielleicht Ausdrücke, die sie noch nicht kennen oder vergessen haben. Ich habe auch versucht, über den Dialekt hinaus Wissenswertes in das Buch zu packen, von dem man möglicherweise schon gehört hat, aber nichts Näheres weiß, wie zum Beispiel über Johann Peter Hebel. Nicht zuletzt können sie neue Wörter kennenlernen. Und am schönsten wäre es, wenn das ein oder andere Wort wieder mehr in Gebrauch käme. 

Zur Person:

Frank Winter ist 1963 in Karlsruhe geboren, hat in Frankfurt Germanistik, Soziologie und Philosophie studiert und lebt als freier Autor und Redakteur in der Nähe seiner Geburtsstadt.

Sein erstes Buch drehte sich um seine Heimat, es hieß „Badener Land – heiter betrachtet“, eine Art Reiseführer zu Land, Menschen und Kultur. Auch eine Roman-Biografie über Friedrich Hecker hat er geschrieben („Den Feigen tritt jeder Lump!“, Oktober Verlag, 2019, 14,90 Euro).

Im Herbst 2024 ist sein Duden „Badisch – Von Huschdegudsl, Babbedeggl und Debbichbatscher“ erschienen (Duden Verlag, 128 Seiten, 14 Euro, www.duden.de/shop).

Interview: Claudia List

Bilder: Heide Offterdinger/Duden Verlag

Illustrationen: Carina Crenshaw