Härtetest für die Waden

Hier wird geklettert: In der Ferienregion Schwarzwald gibt es für Rad-Profis und ambitionierte Freizeit-Sportler genügend Herausforderungen. 2022 machte auch Deutschlands wichtigstes Radrennen, die „Deutschland Tour“, Station im Schwarzwald. Ein guter Anlass, sich mit dem Rennrad auf die Spuren der Profis zu begeben. Unser Autor Patrick Kunkel hat sich die Schwarzwälder Strecken selbst mal angeschaut.

Deutschland Tour_Schauinsland

Nicht vergessen: den Namen des Schauinsland vor der Abfahrt wörtlich nehmen... – © Patrick Kunkel

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Freiburg, Altstadt, früh am Sonntagmorgen. Nichts ist los auf den Straßen rund um den weithin sichtbaren Freiburger Münsterturm. Gut so. Ich rolle los. Ganz locker mit dem Rennrad mitten über den Friedrichring. Sonst braust hier der Stadtverkehr, jetzt habe ich den Boulevard für mich ganz alleine. Ende August wird in Freiburgs Innenstadt das Profi-Peloton der „Deutschland Tour“ auf die Strecke geschickt, wenn die fünftägige Rennradrundfahrt für eine besonders knackige Bergankunft Station im Breisgau und im Südschwarzwald macht.

Mein Plan für heute: An einem Tag will ich auf den Spuren der Profis die schönsten Rennradspots der Region rund um Freiburg abklappern! Die Profi-Etappe hat es in sich: Knapp 150 Kilometer ist sie lang – und am Ende wartet noch ein echter Gipfelsturm auf Freiburgs Hausberg, den 1284 Meter hohen Schauinsland! Uff.

Von Freiburg zum "Texaspass"

Aber erstmal geht´s flach aus der Stadt raus. Entspannt pedaliere ich durch die kleinen Dörfer zwischen den Hügeln der sanft gewellten March. Dunstiges Morgenlicht, glitzernde Tautropfen auf den Wiesen. Der Tag beginnt mit der perfekten Morgenstimmung. Gelassenes Einrollen! Doch dann wartet bereits der Kaiserstuhl auf die Profis – und auch ich kann es kaum erwarten, die verschlungenen Kurven des Minimittelgebirges am Westrand des Schwarzwaldes endlich mal wieder unter die Rennradpneus zu bekommen. Dort geht es Schlag auf Schlag: Zuerst über eine giftige Rampe rauf auf die Schelinger Höhe und anschließend der steile Anstieg zum berühmten „Texaspass“ von Kiechlinsbergen, dessen Serpentinen wie ein Lasso schwingen.

Bei der „Deutschland Tour“ werden hier die Profis in irrwitzigem Tempo die erste und zweite Bergwertung unter sich ausmachen. Ich lasse es ruhig angehen, komme aber dennoch ganz schön ins Schwitzen. Was ich mir nicht entgehen lasse: Den Stopp oben am „Texaspass“, um die weiten Blicke und das sagenhafte Panorama über die Weinbergterrassen des Kaiserstuhls zu genießen. „Ich liebe es, hier einfach mal abzusteigen. An klaren Tagen kann man bis zu den Vogesen sehen“, hatte mir tags zuvor bei einer Limo in Freiburg der Rennradprofi Heinrich Haussler vorgeschwärmt, der mit seinem Team ebenfalls bei Deutschlands wichtigstem Radrennen am Start sein wird.

Für Haussler ein Heimspiel: Der Rennfahrer mit australischem Pass lebt und trainiert seit 15 Jahren in Freiburg: „Ich kenne hier jeden Stein und jeden Baum am Straßenrand“, sagt er grinsend, „aber ich bin kein Bergfahrer – und die werden bei der Etappe ganz klar im Vorteil sein.“

Lieber Höhenmeter oder Flachetappe?

Beim Rennen wird Haussler natürlich keine Zeit für ausgiebigen Landschaftsgenuss haben. Im Trainingsalltag aber genießt er die Region rund um Freiburg. „Ehrlich, ich will hier gar nicht mehr weg. Freiburg und der Schwarzwald sind einfach der ideale Standort für Radsportler. Du hast hier alles: Man kann 5000 Höhenmeter durch den Schwarzwald fahren oder 200 Kilometer flach im Rheintal. Wenn oben in den Bergen noch der Schnee liegt, trainiere ich im Kaiserstuhl schon im kurzen Trikot. Und die Landschaft ist einfach wunderschön.“

Nach dem Kaiserstuhl steht für die Profis das wellige Terrain des Markgräflerlands auf dem Plan. Für Fahrertypen wie Haussler ein ideales Terrain, dort jagt eine steile Rampe die nächste: „Ein bisschen wie bei den Frühjahrsklassikern in Flandern.“ Allerdings brennen meine Oberschenkel schon, als ich die sanft geschwungenen Weinhügel des Markgräflerlands erreiche. Die Sprintwertung der Profis in Bad Krozingen schenke ich mir lieber und pedaliere zügig durch die Straßen der Kurstadt.

Kurz hinter dem Ortsschild zeigt sich, weshalb das Markgräflerland oft „Toskana Deutschlands“ genannt wird: Klar, das milde, sonnenverwöhnte Klima spielt dabei eine Rolle. Aber vor allem liegt es an der Harmonie der gewellten Reblandschaft: Hier folgen die Straßen der natürlichen Form des Terrains, nicht umgekehrt. Und am Wegrand liegen genügend einladende Straußwirtschaften, von deren lauschigen Terrassen aus man den Blick über das sonnendurchflutete Hügelland streifen lassen kann. Oder besser gesagt: Könnte.

Denn der schwerste Teil der Tour liegt ja noch vor mir, ausruhen kann ich am Ende des Tages: Hinter Staufen werden sich wohl die ersten Risse im Peloton auftun. Jetzt geht es richtig in den Schwarzwald. Hier wird geklettert. „Mit dieser Streckenführung haben die Planer ganze Arbeit geleistet“, findet auch Radreiseveranstalter Arnold Kron aus Freiburg, mit dem ich mich im Vorfeld über die Route der „Deutschland Tour“ ausgetauscht hatte: „Nach dem legendären Texaspass und dem Markgräflerland ist der schmale und anspruchsvolle Anstieg durchs Katzental der ultimative Geheimtipp.“

Gut, dass ich heute konkurrenzlos unterwegs bin und völlig ohne Rennstress die fiesen Rampen im Katzental hinauf nach Horben hinter mich bringen kann. Ehrlich: Für die wunderschöne Bergwelt, wo sich mächtige Schwarzwaldhöfe mit dem typischen tief heruntergezogenen Walmdach in die Matten schmiegen, fehlt mir bei dem hochprozentigen Steilstück gerade der Blick. Unglaublich, denke ich, wie sich die gut 130 Fahrer aus 22 Teams auf diese Ministraße zwängen wollen? „Bevor das Peloton ins Katzental abbiegt, wird es wahrscheinlich nochmal hektisch“, prognostiziert Haussler: „Man kommt da mit 80, 90 Sachen runter, dann geht es scharf ab auf die schmale Straße hoch nach Horben. Alle Teams werden hier versuchen, ihre Kapitäne gut zu positionieren.“

Attacke hoch zum Schauinsland

In Horben werden die bergfesten Fahrer wohl noch nicht auf Angriff gehen, sondern wahrscheinlich erst am Schauinsland das Rennen unter sich ausmachen, erklärt Haussler. Er selbst sei dann wahrscheinlich längst abgehängt, wenn sich die Bergfahrer an dem legendären Anstieg auseinandernehmen. „Aber wer weiß, was passiert…“ Die Bergstrecke auf Freiburgs Hausberg kennt er jedenfalls in- und auswendig. „Wenn ich in Freiburg bin, fahre ich da jeden zweiten Tag rauf. Man kann am Schauinsland ziemlich gut Intervalle fahren.“

Im unteren Teil ist es steil, danach wird die Strecke gleichmäßiger. Rund 30 Minuten werden die besten Fahrer für die Schlusssteigung benötigen, schätzt Haussler. Ich trete voll in die Pedale – und brauche gut 20 Minuten länger. Was soll’s! Denn anders als bei den Profis endet die Tour für mich nicht auf dem Gipfel: Der Schauinsland hält für mich seinen wahren Genuss bereit, die Abfahrt. „Vom Schauinsland runterrauschen, das ist einfach genial“, schwärmt auch Haussler. Schließlich sind die Kurven nahezu perfekt geschwungen. Als die Schauinslandstrecke einst vom ADAC als Bergrennstrecke für Autorennen angelegt wurde, ging es schließlich darum, optimale Kurvenradien zu schaffen.

Ich rausche bergab. Ein breites Grinsen macht sich in meinem Gesicht breit. Genau das hat noch gefehlt: Eine der besten Abfahrten weit und breit als Abschluss meiner grandiosen Tagesetappe. Und als nächstes? Habe ich noch einen guten Plan: Die letzte Etappe der „Deutschland Tour“, die in Schiltach startet und über die Höhenzüge des Schwarzwalds nach Stuttgart führt. Das muss ich unbedingt ausprobieren!

Patrick Kunkel

Über den Autor

Patrick Kunkel

Patrick Kunkel ist Reisejournalist aus Freiburg im Breisgau. Am liebsten erkundet er die Welt mit dem Fahrrad oder mit Wanderschuhen an den Füßen. Er schreibt Geschichten für Magazine wie TOUR, BIKE oder MyBike. Nach fünf wundervollen Jahren im Baskenland, wo es zwar hervorragende Küche, aber keine Schwarzwälder Kirschtorte gibt, großartige Bergpfade, aber keine verwinkelten Schwarzwälder Singletrails, ein wildes Meer, aber keine rauschenden Zweribachfälle und urige Steinhäuser, aber keine beeindruckenden Schwarzwaldhöfe, lebt und arbeitet er endlich wieder in seiner Lieblingsregion – dem Schwarzwald.