Licht aus, Mond an
Wenn die Tage kürzer und die Nächte länger werden, dann herrscht eine ganz besondere Stimmung im Schwarzwald. Gäste können das intensiv in den sagenumwobenen Rauhnächten und bei Mondschein-Touren erleben.
Von Andreas Steidel
Die Sonne geht unter über den Wäldern des Albtals. Zwischen Dobel und Bad Herrenalb im Nordschwarzwald verkriecht sie sich nun für viele Stunden hinter dem Horizont und macht ihrem kleinen Bruder, dem Mond, Platz. Er ist heute mal wieder besonders nah, auf 357.000 Kilometer hat er sich herangepirscht, man glaubt ihn fast vom Himmel pflücken zu können. Supermond nennt man das, wenn der hellste aller nächtlichen Himmelskörper ein wenig an die Erde heranrückt. Viel größer und strahlender erscheint er nun, 20 Menschen auf der Wiese am Waldrand sind regelrecht entzückt.
Seit vielen Jahren macht Schwarzwald-Guide Monika Amann aus Bad Herrenalb Mondschein-Touren, im Sommer wie im Winter. Die Resonanz ist erstaunlich, Dutzende von Teilnehmern melden sich an, wenn es darum geht, sich durch die Nacht im Schwarzwald führen zu lassen. „Alleine würden sie sich das nicht trauen“, sagt Monika Amann, „aber in der Gruppe fühlen sie sich gut aufgehoben.“
Langsam und leise gehen sie dann durch die Landschaft. Lauschen den nächtlichen Geräuschen, nehmen ganz andere Dinge wahr, als an den geschäftig grellen Tagen. Monika Amann versorgt sie mit Mythen und Märchen, ein wenig Mond-Literatur und viel Wissenswertem: 4,5 Milliarden Jahre ist der Mond alt, über 360.000 Kilometer entfernt, meistens wenigstens. Und gehören, ja gehören tut er eigentlich niemandem, nicht einmal dem legendären Mann im Mond.
Der Mond war von jeher ein Faszinosum. Die Menschen lasen Gesichter in ihn hinein, erkannten bei zunehmendem Mond eine verführerische junge Frau und bei abnehmendem Mond die menschliche Vergänglichkeit. Dazwischen lag das pralle Leben, der Vollmond als Fruchtbarkeitssymbol ähnelte irgendwie auch einer gebärenden Frau.
In alten Zeiten (und zuweilen auch noch heute) richteten sich die Menschen nach dem Mondkalender: Der Begriff „Monat“ entstammt unmittelbar dieser germanischen Gepflogenheit. Ihr Nachteil war, dass das Mondjahr mit 354 Tagen deutlich kürzer ausfiel als das Sonnenjahr. So begann man an seinem Ende elf bis zwölf Tage einzuschieben, es war die buchstäbliche Zeit „zwischen den Jahren“, die dadurch ihren Namen erhielt.
Sie war schon bald aufgeladen mit allerlei Bräuchen, Mythen und Sagen. Von wilden Heeren war da die Rede, die durch die Lande zogen, Dämonen, die sich in furchterregende Gewänder warfen und die Menschen in Angst und Schrecken versetzten. Wer seine weiße Wäsche auf die Leine hängte, musste fürchten, sie als Leichentuch zurückzubekommen.
Rauhnächte sollte der Zeitraum zwischen Weihnachten und Dreikönig irgendwann heißen. Darin steckt der Rauch, den man in den Ställen und Häusern verteilte, um die bösen Geister zu vertreiben. Zugleich war der Begriff Rauchwaren ein anderes Wort für jene Pelze und Felle, die die Zottelwesen aus dem Reich der Dunkelheit trugen: furchterregende Geister und Fabelwesen, die nachts um die Häuser zogen. Mit einem Höllenlärm versuchte man, sie in die Flucht zu schlagen, ein Überbleibsel davon ist das Silvesterböllern zur Jahreswende.
Die Offenburger Künstlerin Katja Schneider haben derlei Geschichten schon immer fasziniert. Erst legte sie eine Bilderserie auf mit dem Titel „Nachts im Schwarzwald“, dann widmete sie sich den „Rauhnächten“ oder „Glöckelnächten“, wie sie andernorts auch heißen.
Auf ihren Bildern lässt sie die wilden Heere Wotans durch die Nacht reiten, auf weißen Pferden fegen sie durch die schneebedeckte Landschaft. Das wirkt furchterregend und romantisch zugleich. Jedenfalls hat Katja Schneider gemerkt, dass moderne Menschen sich von solchen Motiven ganz eigentümlich angezogen fühlen: „Die Sehnsucht nach echten Traditionen und Brauchtümern ist groß“, sagt sie, „es ist wie eine andere Welt, in die die Leute flüchten.“
Tatsächlich jagen die zwölf Rauhnächte den Menschen heute keinen echten Schrecken mehr ein. Sie leben nicht mehr in rußgeschwängerten dunklen Hütten, die sie erschaudern lassen. Eher fühlen sie einen wohligen Nervenkitzel, wenn sie von den alten Geschichten hören. Für Schwarzwald-Guide Roswitha Hild aus Calw sind die Rauhnächte jedenfalls „die intensivste Führungszeit überhaupt im Jahr“.
Es ist nicht viel los nach den Feiertagen, das Leben scheint irgendwie zum Stillstand gekommen zu sein. Gerne lässt man sich nun in die Vergangenheit entführen und lauscht alten Geschichten. Roswitha Hild nimmt ihre Gäste mit auf einen Spaziergang in die Nacht hinein. Lässt sie mit allen Sinnen erleben, wie das war, als man den Rauch entzündet hat. Sie verteilt Räucherstäbchen und Weihrauch, hat duftendes Fichtenholz, Beifuß und Gänsekraut dabei.
Auch einen Hexenbesen hat sie mitgebracht. Dämonen und Fratzengestalten dominierten einst das Leben, spukten in den Köpfen und Kammern der einfachen Leute herum. Viele von ihnen überlebten als Fabelfiguren, Frau Holle zum Beispiel, die andernorts auch Perchta genannt wird: Sie bestraft böse Menschen und belohnt gute, in Grimms Märchen mit der Gold- und Pechmarie kann man sie noch heute erleben.
Roswitha Hild kann sicher sein, dass ihr die Menschen an den Lippen hängen, wenn sie von solchen Dingen erzählt. Werwolf, Vampir, die Befana und so manche Hexe finden sich in diesen uralten Geistergeschichten wieder. Im winterlichen Schwarzwald geben sie ein zweistündiges Gastspiel und verschwinden am Ende der Führung wieder in der Vergangenheit – Angst machen will den Leuten mit derlei Erzählungen heute keiner mehr.
So spricht auch Schwarzwald-Guide Monika Amann von einer „positiven mystischen Wanderung durch die Nacht“. Die zwölf Rauhnächte haben es auch ihr angetan, seit nunmehr vier Jahren lädt sie Gäste zu einem Spaziergang in dieser besonderen Zeit ein. Sie kommen in großer Zahl, getragen von der Sehnsucht zur Ruhe und zu sich selbst zu kommen.
„Es geht um ein Innehalten in der Natur“, sagt sie, „ums Kraftschöpfen und die eigene Resilienz.“ Uralte Überlieferungen können dabei helfen: So gehen die Gäste ganz still durch die Landschaft, genießen die kalte Luft und versuchen aufzutanken für ein neues Jahr, das sicher wieder anstrengend wird.
Unter einer alten Eiche gibt es schließlich einen Rauhnachtstee. Der wärmt die Seele und den Körper zugleich. Wenn dann noch der Mond dazu hell leuchtet, ist das besondere Schwarzwald-Erlebnis perfekt. Man nimmt es wie ein kleines Juwel mit nach Hause, ein kostbarer Moment in der weiten Natur, ganz ohne das künstliche Licht, das schon bald wieder das Alltagsleben bestimmen wird.
Katja Schneider
Die Künstlerin Katja Schneider, die auch die Familienfigur „Anni“ erschaffen hat, malt unter anderem Motive zu den Rauhnächten und zum dunklen Schwarzwald: www.kschneider.de
Über den Autor
Andreas Steidel
Andreas Steidel ist freier Reisejournalist mit Wohnsitz in Calw im Nordschwarzwald. Er hat festgestellt, dass der Schwarzwald keineswegs so dunkel ist wie sein Name klingt. Wer sich erst mal intensiv mit ihm beschäftigt, merkt wie viele lichte Seiten er hat und wie viele helle Köpfe es hier gibt. Stoff genug für farbenfrohe Reportagen, die er seit vielen für verschiedene Publikationen macht. Dabei sattelt er gerne das Rad oder schnürt die Wanderstiefel. Als Schwarzwald-Guide führt er zuweilen sogar selbst Gäste durch die Natur.
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