Kunstreise für Entdecker

Ornamenta heißt eine zeitgenössische Kunstausstellung, die sich von Juli bis Ende September über den gesamten Nordschwarzwald erstreckt. Wer sich auf den Weg macht, bekommt eine kreative Vielfalt serviert, in der Tradition und Moderne eine eigentümliche Verbindung eingehen. Von Andreas Steidel

Ornamenta 2024 in Pforzheim: das kuratorische Team

Das kuratorische Team der Ornamenta 2024 mit (von rechts) Jules van den Langenberg, Willem Schenk und Katharina Wahl gemeinsam mit Christof Perrot, dem Geschäftsführer von Perrot Turmuhren. Das Unternehmen realisiert die Ornamenta-Sonnenuhr "From 9 to 5". – © Ornamenta 2024

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Das historische König-Karls-Bad in Bad Wildbad ist ein Prachtbau aus dem späten 19. Jahrhundert. Im Stil des Neobarocks zog man das Gebäude hoch, das den Kurgästen aus aller Welt einst als Thermalbad diente. Die prunkvollen Deckenmalereien erinnern noch an die Zeiten, als hier Wasser und Geld in Strömen flossen. Vom 5. Juli bis 29. September 2024 gehört das altehrwürdige Haus der modernen Kunst. Das König-Karlsbad ist einer der fünf Hauptausstellungsorte der Ornamenta 2024. Drei Monate lang wird es Sitz der fiktiven Themengemeinde »Bad Databrunn« sein. Die Ausstellungsmacher haben virtuelle Kunstwelten entwickelt, die sie im Nordschwarzwald Realität werden lassen. »Bad Databrunn« ist die Welt des Wassers, der Thermalquellen, der Kur und traditionellen Heilbäder. Sie trifft auf die neue Zeit mit Datenströmen, Smart-Phone-Besessenheit und dem Stress der alltäglichen Dauerverfügbarkeit.

In »Bad Databrunn« sprudelt und blubbert es überall: An einer Selbstbedienungswasserbar kann man den Geheimnissen der Körperflüssigkeiten auf die Spur kommen. Die Goldschmiedeschule Pforzheim hat spezielle Löffel gefertigt, die in die Welt des alten Silberbestecks entführen.

 Die Verbindung internationaler Künstler und lokaler Werkstätten ist eine der Grundideen der Ornamenta. Ihre Wurzeln hat sie in einer großen Schmuck- und Designausstellung in Pforzheim vor 35 Jahren. Die Idee lebt nun wieder auf und geht in die Fläche: An 20 Orten in der Region Nordschwarzwald wird es Aktionen, Ausstellungen und Installationen geben. 

Jede der fünf Themengemeinden bekommt dabei ein öffentliches Kunstwerk zugeordnet. Im Falle von »Bad Databrunn« ist es ein künstlich erzeugter Regenbogen, der am Inselsteg über der Enz in Pforzheim leuchtet. Geschaffen haben die Reflektionsskulptur das deutsch-isländische Künstlerduo Veronika Sedlmair und Brynjar Sigurdarson. Es soll über die Ornamenta hinaus erhalten bleiben.

Die übrigen vier Themengemeinden tragen den Titel »Inhalatorium«, »Solartal«, »Zum Eros« und »Schmutzige Ecke«. »Schmutzige Ecke« ist ein starkes Stück für eine Region, die eher für ihre landschaftliche Schönheit bekannt ist. Doch im Pforzheimer Stadtteil Arlinger fand sich eine Pfarrerin, die dafür ihre Kirchentüren öffnete. 

In der Matthäuskirche geht es drei Monate lang um Müll, Recycling und Schutt. Das passt hervorragend zu einem Gebäude, das aus den Trümmern des Zweiten Weltkriegs errichtet wurde. Auferstanden aus Ruinen ist die Matthäuskirche zu einem Vorbild für Kirchenbauten der Nachkriegszeit geworden – nicht zuletzt für die Gedächtniskirche in Berlin. Ihre Wabenarchitektur und ihr freistehender Kirchturm erinnern daran – was kein Zufall ist, denn der Architekt Egon Eiermann war in beiden Fällen derselbe. So ist der Kirchenbau selbst ein Ort zum Staunen, thematische Gottesdienste runden das Angebot ab.

Zu den zentralen Kunstorten der Ornamenta 2024 gehört auch das Reuchlinhaus in Pforzheim. Es ist Sitz des europaweit bekannten Schmuckmuseums und einer modernen Ausstellung des Kunstvereins Pforzheim. Gleich zwei der Ornamenta-Themenwelten werden hier beheimatet sein: das »Inhalatorium« und das »Solartal«. Das »Inhalatorium« spielt mit den Themen Klima, Luft und Luftverschmutzung. Begriffe, die sowohl die klassische Sommerfrische im Nordschwarzwald ausdrücken wie auch die Sorgen um Natur und Umwelt.

Das ebenfalls im Reuchlinhaus angesiedelte »Solartal« wiederum greift das Thema Sonne auf. Daraus entsprang die Kooperation der Schriftgestalterin Charlotte Rohde mit der traditionsreichen Calwer Turmuhrenfabrik Perrot. Heraus kamen Sonnenuhren, die nun an drei verschiedenen Orten im Bereich der Ornamenta zu sehen sein werden: am Gerichtsplatz in Nagold, am Bahnhofsplatz in Mühlacker und am Leopoldplatz in Pforzheim. 

Sie stehen für eine Echtzeit, die nicht vom Menschen gemacht wurde. Das trifft ganz besonders für den Bahnhof in Mühlacker zu, wo einst voneinander abweichende badische und württembergische Uhrzeiten synchronisiert werden mussten. So kann man im Rahmen der Ornamenta immer mal wieder auch etwas über die Geschichte lernen und mit ganz neuen Blickwinkeln eine Region erleben, die man vermeintlich zu kennen glaubte.

Letztlich ist die Ornamenta ein Gesamtkunstwerk für Entdecker. Man muss sich ein wenig Zeit nehmen dafür, bereit sein für die eine oder andere Überraschung und ein paar längere Wege zwischen den Exponaten. So bekommt man auf seiner kleinen Kunstreise ganz nebenbei auch etwas von der Gegend mit, beim Blick aus dem Auto- oder Zugfenster, denn viele der Ausstellungsorte liegen ganz in der Nähe von Bahnstationen.

Damit man sich auch stets gut zurechtfindet, haben die Veranstalter eine App kreiert, die alle wichtigen Informationen bereithält über Tickets, Aktionen, Öffnungszeiten und Reiserouten. Denn auch die bekommt man digital vorgeschlagen, thematisch vorsortiert und geographisch geordnet kann man sich auf den Weg machen, der von Pforzheim nach Bad Wildbad, von Bad Wildbad nach Nagold, von Nagold ins alte Silberbergwerk nach Neubulach führt. Schließlich landet man im Wildpark Pforzheim, wo unter dem Titel »Zum Eros« die Beziehungskultur neu beleuchtet wird. 

Mehrere Jahre haben die Kuratoren der Ornamenta die Gegend bereist und ausgelotet, welche Themen passen könnten. Letztlich haben die Designerin Katharina Wahl, der Performancekünstler Jules van den Langenberg und der Kunst- und Trendberater Willem Schenk etwas geschaffen, das die Traditionen ebenso aufgreift wie die Herausforderung moderner Zeiten.

Damit auch die lokale Kunst- und Kulturszene nicht zu kurz kommt, wurde in Ergänzung der Hauptausstellung ein Programm mit dem Titel »Ornamenta plus« geschaffen, das weitere rund 100 Projekte und Veranstaltungen einschließt, die oft nur einen Veranstaltungsabend umfassen. Diese Termine bekommt man ebenso über die App mitgeteilt wie den Standort eines ganz besonderen Kunstwerks, das in der Ornamenta-Zeit durch die Lande rollt: Ein gigantisch großer Filzball von 3,8 Meter Durchmesser, der den Titel »Black Ball« trägt. Das Streetart-Projekt der Karlsruher Künstlerin Yvonne Dröge Wendel wird an immer anderen Orten auftauchen und zum launigen Verweilen einladen: Platz nehmen, posieren, neckisch damit herumspielen. So wird man selbst Teil der Kunstszenerie, als Ornament der Ornamenta.

Informationen

Alle Ausstellungen sind vom 5. Juli bis 29. September 2024 jeweils freitags bis sonntags von 10 bis 20 Uhr geöffnet; Tagesticket zehn Euro, Wochenendticket 27 Euro, Saisonkarte 50 Euro (alle Tickets nur online). Programm und Informationen zur App unter: www.ornamenta.eu

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Andreas Steidel

Über den Autor

Andreas Steidel

Andreas Steidel ist freier Reisejournalist mit Wohnsitz in Calw im Nordschwarzwald. Er hat festgestellt, dass der Schwarzwald keineswegs so dunkel ist wie sein Name klingt.  Wer sich erst mal intensiv mit ihm beschäftigt, merkt wie viele lichte Seiten er hat und wie viele helle Köpfe es hier gibt. Stoff genug für farbenfrohe Reportagen, die er seit vielen für verschiedene Publikationen macht. Dabei sattelt er gerne das Rad oder schnürt die Wanderstiefel. Als Schwarzwald-Guide führt er zuweilen sogar selbst Gäste durch die Natur.