Hirtenkinder, Kletterpartien und rauschende Wasserfälle
Wandern mit der ganzen Familie: Auf den schmalen Wanderpfaden im Zweitälerland braucht man keine Motivationstricks für den Nachwuchs. Dort ist es auch so spannend genug...
Eine Reportage von Patrick Kunkel
Barfuß unterwegs
Wie die Hirtenkinder
Der einladende Pfad vor uns ist nicht viel breiter als ein Geschirrhandtuch, aber meine zehnjährige Tochter Maj ist kaum zu bremsen. Sie stapft mit energischen Schritten über Wurzeln, Steine und schließlich über einen weichen Teppich aus Tannennadeln und Zapfen. Fingerdünne Äste zerbrechen knackend unter den Sohlen. Wir wandern barfuß. So wie die Hirtenkinder einst. Wir sind schließlich unterwegs auf dem „Hirtenweg“ in Yach.
Der einzige Ort Deutschlands, dessen Name mit einem Y beginnt, liegt besonders malerisch in einem Seitental des Elztals. Da dort kein Durchgangsverkehr herrscht, ist das Yacher Tal sehr ruhig und die Wanderpfade ringsum besonders einsam. Noch bis in die 1950er Jahre trieben hier Hütejungen und -mädchen die Ziegen und Kühe auf die entlegenen Bergweiden. „Die schmalen Pfade läuft man am besten barfuß“, hatte uns der Yacher Naturführer Sigi Wernet vor der Tour erklärt. So könne man am eigenen Leib nachspüren, wie sich die Kinder, die als Hirten losgeschickt worden waren, einst fühlten.
„Die Nadeln kitzeln zwischen den Zehen“, kichert Maj. Dann schmeichelt weiches Gras den nackten Sohlen und schließlich walken glatt gescheuerte Wurzeln die Fersen und Ballen durch – hat was von Wellness, doch für die Hirtenkinder war das Barfußlaufen schlichte Notwendigkeit: „Versuch‘ mal, mit Holzschuhen auf einem Wurzelsteig dem Vieh hinterherzurennen“, sagt Sigi. Lederschuhe gab es damals keine, jedenfalls nicht für Hirtenkinder: „Im Oktober kann es nachts auch mal null Grad kalt werden – und da sind die Kinder trotzdem barfuß gelaufen.“ Die kalten Füße haben sie dann zum Aufwärmen in frische Kuhfladen gestellt.
„Aus heutiger Sicht klingt das ja wildromantisch – Hirtenweg“, so Sigi. Für die Kinder gab es sicher auch schöne Momente da draußen. Aber oft hätten sie sich hundeelend gefühlt und Angst gehabt, wenn etwa ein Unwetter aufzog und ihnen die Herde davonlief: „Man darf nicht vergessen, dass sie zur Arbeit gezwungen wurden.“ Als die Yacher Bauern 1952 auf Elektrozäune umstellten, endete auch die Zeit der Kinderarbeit in dem Schwarzwaldtal. Mit dem „Hirtenweg“ will man in Yach jedoch an deren Geschichte erinnern. Maj ist sichtlich beeindruckt von dem mühseligen Leben der Kinder damals.
Herausragende Fernwandertour
Zweitälersteig
Ähnlich schwer war es auch im Tal der Wilden Gutach: Dort sind wir ein paar Tage später auf dem „Zweitälersteig“ unterwegs. Gestartet nur mit Rucksack und Schlafsäcken in Yach. Unser Ziel ist der Kandelgipfel bei Waldkirch, mit 1241 Metern der höchste Berg im mittleren Schwarzwald. Übernachten wollen wir in Waldhütten und Pensionen, die am Weg liegen.
Anders als das breite Simonswäldertal ist das Wildgutachtal tief eingeschnitten, eng und fast schon eine Schlucht. Weiter oben rauscht der Zweribach vom Kandel herab. Unser Weg führt tief in den struppigen Bergwald. Kleine Schwarzwaldhäuser, sogenannte Gütle, krallen sich an den Steilhang: „Eis und Schnee und Wasser haben da einen Dumpf, dort einen Ebel in den Hang gedrechselt und gehobelt. Auch im Zweribach haben Eis und Schnee und Wasser ihr Werk getan und ein wildes Tal in den Berg genagt.“ So hat der alte St. Märgener Förster Fritz Hockenjos in den 50er Jahren des vorigen Jahrhunderts in einem kleinen Büchlein den Zweribach beschrieben. Der Alltag war hart: „Die drunten am Bach sahen knapp eine Zaine voll Himmel über sich und mangelten die Sonne vier Monate im Jahr. Die droben an der Halde hausten in den Schrofen und mußten die Kinder anbinden, daß sie nicht hangab rollten.“
Der felsige Steig ist mit Geländern und an manchen Stellen mit Stahlseilen gesichert. Wir kraxeln den steilen Weg bergauf. Der Fels unter den Füßen ist glitschig und nass, umgestürzte Bäume rotten vor sich hin, riesige, nackte Wurzelteller ragen knorrig in die Luft. Eine riesige Tanne ist abgeknickt wie ein Streichholz, der tote Wipfel ruht auf moosigen Felsen. Über dem mittleren Fall des Zweribachs, wo das Wasser rauscht und spritzt, führt eine eiserne Brücke. Maj liebt die Kletterpartie und als wir rasten, tauchen wir die nackten Füße ins dahinschießende Wasser.
Am Plattensee lichtet sich der Bannwald. Zeit für ein zünftiges Vesper im Plattenhof – Bibiliskäse mit Brägele! Hinauf auf den Kandel schaffen wir es dank dem Energienachschub heute noch, unsere Schlafsäcke rollen wir in der Thomashütte aus, einer einfach gezimmerten Schutzhütte mitten im Bergwald. Doch ehe wir in die warmen Daunenschichten kriechen, bestaunen wir noch den Sonnenuntergang. Und genießen dann die unbezahlbare Stille nachts im Bergwald.
Und am nächsten Morgen geht es nur noch bergab: Direkt bis zum Marktplatz von Waldkirch. Ein paar Meter bergab kürzen wir auf dem Hosenboden rutschend ab: Im Kandelwald befindet sich Europas längste Hochgeschwindigkeits-Röhrenrutschbahn – den Spaß hat sich Maj nach der anstrengenden Tour nun wirklich verdient!
In Yach erschließen drei Themenwege die Weidberge, Wälder und Bergketten rund um das Tal: Der „Brotweg“ (11 km, mittelschwer), der „Hirtenweg“ (19 km, mittelschwer) sowie der „Höhenweg“ (24 km, schwer). Sigi Wernet und die anderen Naturführer rund um den Rohrhardsberg bieten geführte Touren an, Infos: Der Rohrhardsberg (yach.de)
Der durchgehend markierte „Zweitälersteig“ führt einmal durch und rund um das Zweitälerland. Gesamtlänge: 106 km. Die offiziellen Etappen enden jeweils in Schwarzwaldorten mit Gastronomie, Einkaufs- und Übernachtungsmöglichkeiten. Biwakieren in Schutzhütten ist ebenfalls möglich. Infos: www.zweitaelersteig.de
Waldkirch, die „Hauptstadt“ des Zweitälerlands, bietet u.a. mit Schwarzwaldzoo, Kastelburg und „Baumwipfelpfad“ mit Riesenröhrenrutsche zahlreiche Highlights für Kinder. Zudem ist die Stadt in der ganzen Welt für Orgeln bekannt. Mehr Infos unter www.stadt-waldkirch.de
Über den Autor
Patrick Kunkel
Patrick Kunkel ist Reisejournalist aus Freiburg im Breisgau. Am liebsten erkundet er die Welt mit dem Fahrrad oder mit Wanderschuhen an den Füßen. Er schreibt Geschichten für Magazine wie TOUR, BIKE oder MyBike. Nach fünf wundervollen Jahren im Baskenland, wo es zwar hervorragende Küche, aber keine Schwarzwälder Kirschtorte gibt, großartige Bergpfade, aber keine verwinkelten Schwarzwälder Singletrails, ein wildes Meer, aber keine rauschenden Zweribachfälle und urige Steinhäuser, aber keine beeindruckenden Schwarzwaldhöfe, lebt und arbeitet er endlich wieder in seiner Lieblingsregion – dem Schwarzwald.
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