Genuss ohne Prozente
Alkoholfreier Wein und Sekt werden immer beliebter und dank moderner Methoden sind sie auch geschmacklich im Aufwind. Die badischen Winzer und Genossenschaften, wie Alde Gott in Sasbachwalden, haben sich darauf eingestellt und bieten Tropfen ohne Promille an. Von Claudia List
„Scheinheilig“ heißt die Produktlinie der Winzergenossenschaft Alde Gott in Sasbachwalden, die sie vor drei Jahren aus der Taufe gehoben hat. Für Geschäftsführer Günter Lehmann ein perfekter Name: Wer scheinheilig sei, gebe vor, etwas zu sein, was er gar nicht ist. Und was in den Flaschen mit dem Etikett „Scheinheilig“ steckt, „sieht aus wie Wein, schmeckt so, hat aber keinen Alkohol“, erklärt er.
Mit einem Weißwein des Jahrgangs 2022 haben die Sasbachwaldener angefangen, ein alkoholfreier Rotwein folgte und in diesem Frühjahr stellt die Genossenschaft ihren ersten „scheinheiligen“ Secco vor. Sie folgt damit einem bundesweiten Trend: Alkoholfreie Weine lagen 2023 nach Angaben des Deutschen Weininstituts in Bodenheim mit rund einem Prozent des gesamten Markts zwar noch auf einem sehr niedrigen Niveau. Das Interesse steigt allerdings, der Umsatz legte 2023 um 50 Prozent zu. Und beim Sekt hatten die alkoholfreien Varianten sogar schon einen Marktanteil von 7,4 Prozent aller in Deutschland getrunkenen Schaumweine.
Die Kellereien und Genossenschaften in Baden haben längst darauf reagiert: Von den Oberkircher und den Durbacher Winzern im mittleren Schwarzwald über den Kaiserstuhl bis hin zu den Markgräfler Winzern im Süden bieten viele Wein und Sekt ohne Promille in ihrem Sortiment an. Auch die französischen Erzeuger folgen dem Trend: Selbst führende Experten von Champagnerhäusern wie „Krug“ und „Frerejean Frères“ haben sich schon an der Entwicklung entalkoholisierter Schaumweine unter dem Markennamen „French Bloom“ beteiligt.
Die Winzergenossenschaft Alde Gott, die zur Weinbauregion Ortenau gehört, befindet sich also in bester Gesellschaft. Das Handwerk hat in Sasbachwalden auch schon eine lange Geschichte: Nachweislich wird dort seit mehr als 400 Jahren Wein gekeltert. Der Name Alde Gott, den auch die Weinlage des Orts trägt, geht auf eine Sage aus der Zeit des 30-jährigen Kriegs zurück. Damals soll ein junger Mann durch die zerstörte und menschenverlassene Gegend gezogen sein. Als er schließlich doch auf eine junge Frau traf, rief er erleichtert: „Der Alde Gott lebt noch!“
Heute gehören der vielfach ausgezeichneten Genossenschaft Alde Gott etwa 380 Winzer an, die insgesamt 260 Hektar Reben bewirtschaften. Neben Wein und Sekt bietet sie auch ein breites Sortiment an Destillaten an, einen Schwarzwald Whisky – und seit Frühjahr 2023 den ersten alkoholfreien Wein.
Für ihn muss die Genossenschaft ein ganz neues Verfahren anwenden. In Sasbachwalden arbeiten die Fachleute mit der sogenannten Vakuumdestillation. Dabei wird Wein erhitzt und normalerweise verdampft der Alkohol bei rund 78 Grad. „Dann sind aber auch alle Aromen draußen“, sagt Alde Gott-Geschäftsführer Lehmann. Im Vakuum, also unter niedrigem Druck, entweicht der Alkohol aber bereits bei 30 bis 32 Grad aus dem Wein. „Das ist viel schonender für das Produkt“, erklärt er. Anschließend werde der entzogene Alkohol gefiltert und die entzogenen Aromastoffe dem Wein wieder zugesetzt.
Deshalb müssen die Erzeuger auch alle Kunden enttäuschen, die davon ausgehen, dass diese Weine günstiger sind, weil sie ja keinen Alkohol enthalten. Das Gegenteil ist der Fall: „Wir haben den fertigen Wein und brauchen zwei zusätzliche Schritte, um ihm den Alkohol zu entziehen“, führt Lehmann aus, „dabei gehen auch noch etwa zehn Prozent der Menge verloren – das Ergebnis muss also teurer sein!“ Am Ende sind die Weine – wie auch alkoholfreies Bier – allerdings gar nicht zu 100 Prozent alkoholfrei. Deshalb muss auf dem Etikett zwingend die Angabe „unter 0,5 Prozent Alkohol“ oder der Begriff „entalkoholisiert“ stehen.
Es eignet sich auch nicht jede Rebsorte. Grundsätzlich klappt es mit Weißweinen leichter, so Lehmann: „Über die Frucht und die Säure bekommt man ein gutes Ergebnis.“ In Sasbachwalden arbeiten die Kellermeister vor allem mit Müller-Thurgau und Gewürztraminer bei ihrem weißen „Scheinheiligen“. Für Rotwein verwenden sie Spätburgunder, die Hauptrebe der Region. Bei ihm spielen allerdings die Gerbstoffe, die sogenannten Tannine, eine größere Rolle. „Ohne Alkohol können sie schnell unharmonisch wirken“, erklärt Lehmann die besonderen Herausforderungen, „deshalb ist es schwieriger, einen entalkoholisierten Rotwein herzustellen, aber auch das ist möglich“. Einfacher wird es hingegen beim Sekt, wobei der offiziell dann ein „schäumendes Getränk aus alkoholfreiem Wein“ ist: Ihm wird Kohlensäure zugesetzt, die dafür sorgt, dass zusätzliche Geschmackskomponenten freigesetzt werden.
Bei allem Fortschritt bleiben passionierte Weintrinker dennoch oft skeptisch. „Die Verfahren sind inzwischen gut“, betont Lehmann, aber er räumt ein: „Alkohol ist und bleibt ein Geschmacksträger. Deshalb kann es gar nicht gleich schmecken. ‚Anders‘ heißt allerdings nicht ‚schlecht‘ – auch wenn das erfahrene Genießer oft so sehen.“
Trotzdem sind es nicht nur junge Menschen oder unerfahrene Weintrinker, die zugreifen. Das Interesse am alkoholfreien Wein sei quer durch alle Bevölkerungsgruppen gestiegen, erklärt der Geschäftsführer. Junge und Alte, Frauen und Männer sind dabei. „Wer noch Autofahren muss oder aus anderen Gründen keinen Alkohol trinkt, aber auch nicht den ganzen Abend in gemütlicher Runde bei Mineralwasser sitzen will, nutzt diese Alternative gern“, ist seine Erfahrung. Deshalb sieht er in den Restaurants künftig einen wichtigen Anbieter für die alkoholfreien Weine.
Genug Anschauungsmaterial bietet ihm dabei die sogenannte „Genusswelt“ der Genossenschaft Alde Gott, zu der ein Verkaufsraum, ein Raum für Weinproben und Tagungen sowie eine aussichtsreiche Weinbar mit Terrasse gehören. In der Bar, die regelmäßig geöffnet ist, sind die alkoholfreien Weine gefragt und sie bilden im Sommer auch die Basis für alkoholfreie Cocktails.
Vielleicht wird die Nachfrage nach Wein und Sekt ohne Promille noch einen weiteren Schub bekommen: Nachdem die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) früher moderaten Alkoholkonsum noch für akzeptabel hielt, warnte sie – wie auch die Weltgesundheitsorganisation WHO – im vergangenen Jahr davor, dass er selbst in kleinen Mengen schädlich sein könne. Freuen können sich Günter Lehmann und seine Kollegen darüber aber nicht, schließlich machen die normalen Weine, Sekte und Destillate den Löwenanteil ihres Umsatzes aus.
Hinzu kommt, dass 2024 kein einfaches Jahr für die Winzer in der Region war: Es gab Frostschäden und viel Regen im Frühjahr, sie konnten deutlich weniger ernten als in den Vorjahren. „An diese Schwankungen haben wir uns längst gewöhnt“, erklärt Lehmann, „aber Empfehlungen, wie die der DGE, machen es uns nicht leichter“. Allerdings geht er davon aus, dass es 2025 – wie so oft in der Vergangenheit – neue Studien mit neuen Empfehlungen geben wird. Und überhaupt sei Wein auch ein Kulturgut: „Ich darf gar nicht daran denken, wie es aussehen würde, wenn wir draußen vor unseren Fenstern keine Weinberge mehr hätten!“
Winzergenossenschaft Alde Gott
In der Weinbar von Alde Gott in Sasbachwalden werden auch Kaffee und Kuchen sowie kleine Speisen serviert und auf der Dachterrasse genießen Gäste dazu einen Blick über die Rheinebene. Die Genossenschaft bietet außerdem Kellerrundgänge mit Verkostung, kulinarische Weinproben und Seminare an.
Über die Autorin
Claudia List
Claudia List hat Journalismus und Betriebswirtschaft studiert, bei einer Tageszeitung volontiert und viele Jahre als Reiseredakteurin bei einer Wochenzeitung gearbeitet. Sie lebt in Stuttgart und schreibt als freie Journalistin in Zeitungen, Magazinen und Büchern über die erlebnis- und genussreichen Seiten Baden-Württembergs. Dabei haben es ihr besonders die Mittelgebirge im Lande angetan. Sie ist Chefredakteurin eines Magazins über die Schwäbische Alb, schreibt aber genauso gern über die spannenden Themen, die der Schwarzwald bietet: Dafür verbringt sie mit Vergnügen eine Nacht im Baumzelt, wandert durch die Landschaft, folgt den Spuren eines Dichters, trifft Winzer und andere Genusshandwerker und besucht Dorfgasthäuser.
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