Die Geschichte der Narrenbrunnen
An vielen Hochburgen der Fastnacht finden sich heute Narrenbrunnen. Doch was hat es mit ihnen eigentlich auf sich und was bilden sie genau ab? Ein Ausflug zu den in Bronze erstarrten Narren im Kinzigtal. Von Andreas Steidel
Fastnacht ist ein kurzes Vergnügen: Eine Woche lang närrisches Treiben im Spätwinter, mit viel Lärm und Getöse – und dann ist der Spuk auch schon vorbei. Die Hästräger ziehen ihre Kostüme aus und die Larventräger nehmen ihre Maske ab. Kehraus am Aschermittwoch, im nächsten Jahr geht es an gleicher Stelle wieder weiter.
So bleibt denen, die zu einer anderen Jahreszeit in die Hochburgen der schwäbisch-alemannischen Fastnacht kommen, oft ein Gutteil der lokalen Kultur und Identität verborgen. Auch deshalb begann man in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts nach Wegen zu suchen, wie man dieses elementare Stück der eigenen Tradition dauerhaft abbilden könnte: Der Narrenbrunnen kam in Mode.
Landauf, landab wurden die wichtigsten Figuren der örtlichen Fastnacht in Bronze gegossen und rund um ein plätscherndes Beiwerk dargestellt. Wer sich mit ihnen genau beschäftigt, erhält einen Einblick in die lokale Fastnachtskultur und kann einige ihrer wichtigsten Figuren kennenlernen.
Einen besonderen Reichtum an Bronze-Narren gibt es in Wolfach. In einer malerischen Ecke am Rande der Altstadt, direkt am Ufer der Kinzig, steht ein Narrenbrunnen mit nicht weniger als 13 Figuren. Er zeigt die Wolfacher Fasnet in all ihren Schattierungen, ein von Künstlerhand geschaffenes Stillleben von denen, die in Wahrheit überhaupt nicht still sind.
Bereits 1970 wurde es errichtet – und seither gleich dreimal erweitert. Das wirklich Besondere daran ist, dass jedes Mal derselbe Künstler am Werk war: Als 35-Jähriger begann der Schwarzwälder Bildhauer Walter Haaf aus Zell am Harmersbach mit der Gestaltung des Wolfacher Brunnens, als 87-Jähriger fügte er 2022 die letzten Figuren hinzu. „Ein Glücksfall“, sagt Christian Oberfell, stellvertretender Narrenvater, wie bei der Wolfacher Zunft die führenden Fastnachter heißen.
Oberfell kann zu jedem der 13 Narren eine kleine Geschichte erzählen: Zum Wohlauf-Mann mit der Zipfelmütze, der einen Nachtwächter parodiert, zur Rungunkel, in der stets Männer stecken, obwohl sie ein altes Weib abbildet, zu den Kaffeetanten im Biedermeierkostüm, hinter deren Fassade sich immer wieder auch ein Mann verbirgt.
Das Männer-Frauen-Thema, es zieht sich durch die Wolfacher Fasnet wie ein roter Faden. Bei den Nasenzüglern geht es dabei besonders deftig zu: Sie läuten am Dienstag das Ende der Fastnacht ein und dürfen nur männlichen Geschlechts sein. Wird eine Frau im Wohlauf-Kostüm erwischt, fliegt sie in den Brunnen vor dem Rathaus – der dann auf seine Art zu einem Narrenbrunnen wird.
Der eigentliche Wolfacher Narrenbrunnen wäre dafür viel zu klein: Er ist ein filigranes Bauwerk aus Granitstein und kleinen Fontänen. Den ursprünglichen Betontrog hat man im Zuge der Stadtsanierung 2000 entfernt und zugleich den sechs Ausgangsfiguren drei Nasenzügler hinzugefügt.
Die häufigste Figur ist der Hansel, dessen Name sich heute noch in Begriffen wie „Hanswurst“ oder „hänseln“ findet: In Wolfach ist er als Schellenhansel, Mehlwurmhansel, Spättlehansel, Streifenhansel, Röslehansel und Nussschalenhansel zu haben – je nachdem, was sein Kostüm ziert. Beim Nussschalenhansel sind es zum Beispiel 3000 Halbschalen von Nüssen.
2010 wurden dann ausnahmsweise keine Figuren ergänzt, sondern ein paar rätselhafte Gegenstände: Zylinder, Bürste und Portemonnaie. Sie liegen den Narren zu Füßen und laufen mit Brunnenwasser voll, was ihrem eigentlichen Zweck durchaus entspricht. Denn am Aschermittwoch werden die leeren Börsen von sogenannten Geldwäschern am Stadtbrunnen gründlich gereinigt. Schon wieder ein Stück Brunnentradition, „den Geldwäschern war es tatsächlich wichtig, dass auch sie dargestellt werden“, sagt Christian Oberfell. Ihre Bronzeplastiken haben sie aus eigener Tasche bezahlt (was darauf hinweist, dass ihre Geldbörsen wohl doch nicht ganz leer waren).
Der Vizechef der Narrenzunft findet allerlei Brunnenbezüge, wenn er nur richtig nachdenkt. So wird in Wolfach alle fünf Jahre das Fastnachtsspiel „Die Altweibermühle von Tripsdrill“ aufgeführt. Heraus kommen die alten Frauen als junge Damen, „ein Jungbrunnen also“, wie Oberfell augenzwinkernd anmerkt.
So arg alt ist die Tradition der Narrenbrunnen nicht. Gerne mal wird die 500 Jahre alte Darstellung des markgräflichen Hofnarren Hans von Singen vor dem Ettlinger Schloss als Urform der Narrenbrunnen bezeichnet. „Doch mit den heutigen Fastnachtsbrunnen hat das nicht viel zu tun“, sagt auch der Fastnachtsexperte und Kulturanthropologe Werner Mezger.
Narrenbrunnen wie jener in Wolfach sind eine Zeiterscheinung und ein Modephänomen. Frei nach dem Motto: Wenn die anderen einen haben, sollten wir uns das auch überlegen. Das hat durchaus zu einer kreativen Vielfalt geführt, die man im Kinzigtal und in der Umgebung an vielen Stellen sehen kann.
In Zell am Harmersbach zum Beispiel, der Heimatstadt des Künstlers Walter Haaf. Nur ein Jahr nach den Wolfachern wurde dort an einer alten Viehtränke ein Narrenbrunnen eröffnet. Er zeigt in Lebensgröße vier typische Figuren der dortigen Fastnacht: Den Bändeles-Narro, der sich wie ein Ertrinkender an den Brunnenrand klammert, den Spielkarten-Narro, der schon immer ein Ass war, den Schneckenhüsli-Narro, der sich auf Tiny Houses spezialisiert hat, und schließlich der Welschkorn-Narro, der sich an den Blättern im Maisfeld bedient.
Jedes Jahr am 11. November machen die Narren aus Zell am Brunnen Station. Rund 1000 wildgewordenen Gesellen steht Zunftmeister Clemens Halter vor. In Zell wie in Wolfach ist die schwäbisch-alemannische Fastnacht (die in Zell übrigens „Fasend“ heißt) ein Großereignis und der Brunnen ein kleines Schaufenster, das Appetit auf mehr machen soll.
Wer die Augen aufsperrt, kann an vielen Orten in der Region Narren aus Bronze entdecken: In Lauterbach bei Schramberg läutet direkt unter der katholischen Kirche der Büttel seine Glocke, der Künstler war, wie in so vielen andern Fällen (natürlich) Walter Haaf. In Haslach wiederum hat man einen Ranzengardisten verewigt, dessen Bauch einem Fass gleicht. Der Künstler war hier ausnahmsweise einmal jemand anders, nämlich der Bildhauermeister Heribert Maier.
So lohnt es sich durchaus, den Brunnennarren einmal tief ins Gesicht zu blicken. Man wird überall andere Figuren entdecken. Das einzige, was man nicht sieht, sind die wunderschönen Farben der Fastnacht: Da muss man dann schon in der fünften Jahreszeit selbst anreisen. Für alle anderen gilt: Wer Narren ganz ohne Lärm, Hexenattacke und Trubel erleben will, der nimmt in einer ruhigen Minute einfach am Fastnachtsbrunnen Platz und den einen oder anderen Narren in den Arm. Er hält, jede Wette, wirklich ganz still.
Information
Der Wolfacher Narrenbrunnen liegt am Gassensteg direkt an der Kinzig. Der Narrenbrunnen in Zell am Harmersbach steht an der Hauptstraße, der in Lauterbach direkt unterhalb der katholischen Kirche. Der Narrenbrunnen von Haslach ist an der Ecke Engelstraße/Hofstetter Straße zu finden.
Die schwäbisch-alemannische Fastnacht ist gelebtes Brauchtum im Schwarzwald. Farbenprächtig sind ab dem 6. Januar 2025 viele Schwarzwalddörfer geschmückt: Die bunten Narrenwimpel signalisieren den Auftakt der Vereinsfasnet. Vom „Schmutzige Dunschdig“ am 27. Februar bis Aschermittwoch am 5. März 2025 wird dann auch mit Straßenumzügen und närrischen Festen gefeiert.
Über den Autor
Andreas Steidel
Andreas Steidel ist freier Reisejournalist mit Wohnsitz in Calw im Nordschwarzwald. Er hat festgestellt, dass der Schwarzwald keineswegs so dunkel ist wie sein Name klingt. Wer sich erst mal intensiv mit ihm beschäftigt, merkt wie viele lichte Seiten er hat und wie viele helle Köpfe es hier gibt. Stoff genug für farbenfrohe Reportagen, die er seit vielen für verschiedene Publikationen macht. Dabei sattelt er gerne das Rad oder schnürt die Wanderstiefel. Als Schwarzwald-Guide führt er zuweilen sogar selbst Gäste durch die Natur.
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