Der Lachs kehrt zurück
Ein Jahrhundert lang waren die Lachse aus der Murg verschwunden, doch nun kehren sie wieder zurück. Wie sie ihren Weg in den Nordschwarzwald finden, erfahren Wanderer auf dem „Lachserlebnispfad“ zwischen Rastatt und Baiersbronn. Von Claudia List

Lachse brauchen zum Laichen ein Kiesbett, in das Männchen und Weibchen Eier und Milch in einer Grube ablegen und vergraben können. – © Nacona Filmproduktion
Zahlreiche Lachse machen sich vor der Küste Grönlands auf den Weg. Sie schwimmen durch den Atlantik, hinein in den Rhein und weiter in die Murg. Die Lachse springen flussaufwärts über Wasserfälle und Stromschnellen, um nach tausenden Kilometern zu ihren Laichgebieten zu kommen – dorthin, wo das Wasser sauerstoffreich ist und das Flussbett mit seinen Steinen viele Verstecke bietet.
Tatsächlich war das einst ganz normal an der Murg. „Am Oberrhein war sie als Laichgebiet historisch der bedeutendste Fluss“, erklärt Frank Hartmann, Fischereireferent am Regierungspräsidium Karlsruhe, „in einem Jahr sollen sogar mal tausend Lachse aufgestiegen sein.“ Doch vor rund 100 Jahren war es vorbei mit der Pracht: Durch die Abwässer aus Industriebetrieben war die Wasserqualität gesunken. Die vielen Wehre und Kraftwerke versperrten den Fischen den Weg flussauf- und abwärts, Turbinen wurden ihnen zum Verhängnis. Bei niedrigem Wasserstand lag die Murg an einigen Stellen sogar völlig trocken.
Der Lachs hatte keine Chance mehr und war aus der Murg ebenso verschwunden wie aus dem gesamten Rhein. Doch dann gab es eine Sensation: 2005 wurden die ersten Lachseier in der Murg gefunden, 2011 der erste atlantische Lachs gesichtet. In den Jahren zuvor und bis heute wurde aber auch viel dafür getan: Die Wasserqualität verbessert, an Wehren und Kraftwerken Fischtreppen geschaffen und an besonders hohen Staumauern gibt es nun sogar Fischlifte. Und es wurden wenige Zentimeter große Exemplare, die der Landesfischereiverband Baden-Württemberg im Wolftal bei Oberwolfach gezüchtet hat, in den Fluss gesetzt – in der Hoffnung, dass sie den Weg hinaus in den Atlantik und später wieder zurückschaffen. Mittlerweile gibt es pro Jahr etwa zehn bis 20 Rückkehrer in die Murg – aktuell sind das noch Zufallsfunde, weil beispielsweise eine Zielstation für die Tiere fehlt, die aber laut Frank Hartmann noch kommen soll.
Der „Lachserlebnispfad“ entlang der Murg, der 2024 eröffnet wurde, erzählt von der Rückkehr des Lachses und von den vielen Veränderungen, die nötig waren. Initiator war Frank Hartmann vom Regierungspräsidium Karlsruhe, für den die Murg nicht nur ein schöner Fluss ist, sondern „eine Herzensangelegenheit“. Er hat jahrelang recherchiert und sogar eine Doktorarbeit zum Fluss angestoßen: „Wir sind stolz darauf, dass wir dadurch tiefgehende Informationen aus Primärquellen bekommen haben.“ Als Beispiel nennt er historische Zeichnungen, die zeigen, wie die Menschen mit aus Holz gezimmerten Kästen an der Murg Lachse fingen.
Der 15 Kilometer lange Pfad unterteilt sich in vier Abschnitte. An jedem dieser vier Wege treffen die Wanderer auf die große Silhouette eines Lachses. Dort finden sich viele Informationen, etwa dazu, wie die Landschaft in diesem Abschnitt aussieht und welche Fische es dort gibt, wie die Grafikerin Jutta Sailer-Paysan erklärt. Sie hat über Jahre gemeinsam mit Frank Hartmann diese und andere Infotafeln erarbeitet, die auf der Strecke liegen, sowie Broschüren und Spielstationen für Kinder gestaltet. Die jungen Wanderer dürfen zum Beispiel raten, ob sich hinter den Namen „Rotzkopf“, „Nase“ und „Steinbeißer“ tatsächlich Fische der Murg verbergen. Bei der Fischolympiade erfahren sie mehr über die rekordverdächtigen Fähigkeiten der Tiere – etwa, dass Aale ein Stück Würfelzucker, das in der Wassermenge des Bodensees aufgelöst ist, riechen können und dass ein Lachs, der etwa einen Meter groß ist, bis zu drei Meter hoch springen kann.
Ganz gleich, welchen Abschnitt sich die Wanderer vornehmen – ob den barrierefreien Pfad bei Baiersbronn oder die abenteuerliche Tour durchs wilde, steile Kerbtal, in dem große Felsen im Fluss liegen, die das Wasser zu fantasieanregenden Skulpturen geformt hat: Überall erfahren sie, warum Lachse überhaupt wandern und wie sie den Weg finden. Sie brauchen zum Laichen nämlich ein Kiesbett, in das Männchen und Weibchen Eier und Milch in einer Grube ablegen und vergraben können. Wenn daraus die kleinen Fische schlüpfen, bleiben sie so lange an diesem Ort, bis sie sich silbern gefärbt haben – und sie damit vor ihren Feinden im Atlantik geschützt sind.
Dann wandern sie flussabwärts ins Meer, finden vor der Küste Grönlands Nahrung – und kehren, sobald sie fortpflanzungsfähig sind, zu ihrer Kinderstube zurück. Auf dem Weg hilft ihnen ihr Geruchssinn: „Der Geruch des Murgwassers ist von der Geologie geprägt“, erklärt Hartmann, „und die Lachse riechen bei ihrer Rückkehr die Murg bereits in Holland.“
Der Erlebnispfad bietet aber nicht nur Informationen über Lachse, sondern über die gesamte Unterwasserwelt mit ihren Fisch- und Pflanzenarten in den jeweiligen Abschnitten. Außerdem erfährt man vieles aus der Geschichte, etwa, dass früher der Lachs als elitäre Speise dem Adel vorbehalten war und denjenigen, die sich nicht daran hielten, harte Strafen drohten.
Ein wichtiges Thema sind außerdem die Angler, unter denen an der Murg viele Fliegenfischer sind. Sie haben ein Auge aufs Gewässer und unterstützen die Bemühungen, den Fluss wieder zum Lebensraum für Lachse und andere Fische zu machen. Und nicht zuletzt wird unterwegs dargestellt, welche Schritte auf diesem Weg schon erreicht wurden.
Allerdings versperren unterwegs immer noch Hindernisse den Weg und Frank Hartmann ist noch nicht am Ende mit seinen Anstrengungen, der Murg – notfalls auch vor Gericht – zu ihrem Recht zu verhelfen. Natürlich kann man im Fluss auch noch keine Lachse springen sehen wie in Norwegen, dämpft der Fischereireferent die Erwartungen. Man hatte den Fluss allerdings auch fast schon zerstört durch die Übernutzung, wie Hartmann ausführt: „Trotzdem konnten sich dort Nährtiere und andere Relikte halten, die sich nun wieder entfalten – und die Lachse und andere Fische zum Überleben brauchen. Es zeigt uns, dass die Natur stark ist. Das macht Hoffnung für die Zukunft.“

„Lachserlebnispfad“ an der Murg (die tollen Videos sind verlinkt):
Der Pfad verläuft zwischen Baiersbronn und Rastatt an der Murg entlang, ist insgesamt etwa 15 Kilometer lang und in vier verschiedene Abschnitte unterteilt.
Die „frische Murg“ führt auf Asphaltwegen von Baiersbronn bis Röt und ist barrierefrei (rund sechs Kilometer).
Anspruchsvoller ist die „wilde Murg“ zwischen Weisenbach und Forbach, wobei hier drei Varianten von leicht bis mittelschwer zur Wahl stehen: 3,4 Kilometer sind es von Weisenbach bis Langenbrand, fünf anspruchsvolle Kilometer – unter anderem durchs steile, eindrucksvolle Kerbtal – liegen zwischen Langenbrand und Forbach. In Forbach gibt es außerdem noch eine rund drei Kilometer lange Rundtour.
Die „starke Murg“ umfasst zwei Pfade auf Schotter- und Asphaltwegen zwischen Bad Rotenfels und Gaggenau sowie zwischen Hörden und Gernsbach. Sie informieren über Fischwanderhilfen an den Wasserkraftwerken und führen zu dem Ort, an dem 2005 die ersten Lachseier gefunden wurden.
Schließlich gibt es mit der „zahmen Murg“ bei Rastatt, wo der Fluss in den Rhein mündet, leichte Touren (insgesamt knapp sieben Kilometer) über Uferwege und das Stadtgebiet.
Bis auf wenige kürzere Runden sind es Streckenwanderungen und mit der Bahn können Wanderer zurück zum Start fahren. Die Ausschilderung soll in diesem Frühjahr abgeschlossen sein, aber wer sicher gehen will, lädt sich die Tourdaten aufs Mobiltelefon.

Über die Autorin
Claudia List
Claudia List hat Journalismus und Betriebswirtschaft studiert, bei einer Tageszeitung volontiert und viele Jahre als Reiseredakteurin bei einer Wochenzeitung gearbeitet. Sie lebt in Stuttgart und schreibt als freie Journalistin in Zeitungen, Magazinen und Büchern über die erlebnis- und genussreichen Seiten Baden-Württembergs. Dabei haben es ihr besonders die Mittelgebirge im Lande angetan. Sie ist Chefredakteurin eines Magazins über die Schwäbische Alb, schreibt aber genauso gern über die spannenden Themen, die der Schwarzwald bietet: Dafür verbringt sie mit Vergnügen eine Nacht im Baumzelt, wandert durch die Landschaft, folgt den Spuren eines Dichters, trifft Winzer und andere Genusshandwerker und besucht Dorfgasthäuser.
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