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"Das schönste Land in Deutschlands Gau’n, das ist mein Badner Land. Es ist so herrlich anzuschaun und ruht in Gottes Hand." Dieses Lied mit über 1300 Strophen zu Ehren des 
südwestdeutschen Landstrichs an der französischen Grenze sangen am 21. September 
2024 in Waldkirch bei Freiburg mehr als 50 Gruppen im Wechsel. Ziel: den ersten Weltrekord im Nonstop-Badnerliedsingen aufstellen. Es wurde ein großes Fest. Kein Wunder, denn die Badener sind mehr als stolz auf ihr Fleckchen Erde, und manch einer 
hadert noch immer damit, dass 1951 Baden, Württemberg und die beiden Fürstentümer 
Hohenzollern-Hechingen und Hohenzollern-Sigmaringen zu Baden-Württemberg verschmolzen. Die Franzosen hatten als eine der Siegermächte des Zweiten Weltkriegs 
nicht gut gewirtschaftet und waren schon 1945 abgezogen, woraufhin die Amerikaner 
eine Neuordnung der Gebiete beschlossen. Seitdem reiben sich Schwaben an Badenern und Badener an Schwaben – meist augenzwinkernd, doch hier und da gewürzt mit einer Prise Unversöhnlichkeit. 

Heute sieht man kaum noch, wo die Grenze einst verlief. Historisch Interessierte können 
ihr aber auf der Viertagestour "Albtal- Aussichten" im Nordschwarzwald gut nachspüren. 
(Wenn einem das Geschichtliche egal ist, lohnt sich der Weg auch.) Die fast geschlossene Runde um das Tal des Flüsschens Alb führt mit viel Auf und Ab von Ettlingen bei Karlsruhe nach Waldbronn. Und wer sie wie ich als Schwäbin mit dem badischen Schwarzwaldguide Martin Hämmerle geht, kommt um Frotzeleien nicht herum.

Weit reicht der Blick über das Weideland mit Ziegen und Kühen sowie über den Nordschwarzwald – der Name "Albtal-Aussichten" ist gerechtfertigt.

Martin grinst triumphierend, als wir zu Beginn von Etappe zwei am Hotel-Restaurant "König von Preußen" in Frauenalb ein Schild entdecken. "Republik Baden" steht dort, darunter das badische Wappen: gelber Schild mit rotem Diagonalstreifen, gehalten von zwei Greifen. Heute geht es über 23 Kilometer und 800 Höhenmeter von der Ruine des Benediktinerinnenklosters Frauenalb zum ebenfalls halb verfallenen Zisterzienserkloster 
in Bad Herrenalb. Die Albtal-Aussichten steigern sich auf jeder Etappe: An Tag eins laufen Wandernde sich mit 20 Kilometern warm für die 23 Kilometer am Folgetag. Tag drei legt mit 28 Kilometern die Messlatte schon recht hoch, und der letzte Tag fordert mit fast 31 Kilometern mächtig. Dazu kommen zwischen 400 und 840 Höhenmeter. Gut zu wissen: Zwischendrin lässt sich per S-Bahn abkürzen. 

Wir stromern zwischen den Klostermauern aus rotem Buntsandstein umher und steigen dann ziemlich steil durch lichten Mischwald nach oben. Ich schaue immer wieder in der Komoot-App nach der Route. "Ja, der Weg ist nicht beschildert", sagt Martin, während wir durch den Hohlweg der Bernbacher Steige hinaufschnaufen, dicke Steine unter und Zweige dunkler Nadelbäume über uns. "Kleinigkeiten können sich noch hier und da ändern. Wir arbeiten auch auf eine Qualitätsweg-Zertifizierung hin, spätestens dann gibt’s Schilder." 

Und plötzlich pfeift man fröhlich 

Der Wald öffnet sich, uralte Buchen wachen über eine weite Lichtung. Hoch oben an einem der glatten Stämme umschließt eine dicke Wulst die Wunde, die ein abgebrochener Ast hinterlassen hat – wie ein Auge in die Anderswelt. Ich erwische mich, wie ich das Badnerlied vor mich hinpfeife. Plötzlich stoßen wir auf eine weitere historische Grenze, wie Infotafeln verraten: die zwischen der französischen und der amerikanischen Besatzungszone. Beide Siegermächte mischten bei der Entstehung des "Südweststaats" Baden-Württemberg kräftig mit.

Dann, beim Aufstieg nach Mittelberg, wird wieder einmal klar, warum der Weg den Begriff "Aussichten" zu Recht im Namen trägt: Über Weiden mit Ziegen und Kühen hinweg reicht der Blick über die waldigen Wellen des Nordschwarzwalds nach Norden, zum Start, und man ahnt schon die flache Weite der Rheinebene. Dort hinten irgendwo sind wir gestern am Barockschloss in Ettlingen losgegangen, haben die Blicke ins Rheintal genossen und den Toten-Mann-Stein bei Fischweier angeschaut. Er stammt aus dem Jahr 1507 und markiert die Stadtgrenze Ettlingens. Beim Wandern war viel Laub im Tann, der Schwarzwald gab sich erstaunlich licht. 

Noch weiter schaut man vom Mahlbergturm bei Moosbronn, unserem nächsten 
Stop. Die "Aussichten" führen durch den kleinen Ort, an einer Hauswand prangt ein 
Schild "Königreich Württemberg". Martin schnaubt: "Königreich, klar!" Doch, lieber Martin, das gab es genau so wie die Republik Baden, nämlich von 1806 bis 1918 ... 

160 Stufen, dann stehen wir nach Luft schnappend auf dem Turm und schauen hinüber zu den Vogesen. Und weiter geht’s, wir haben noch viel Strecke vor uns! Springkraut und junge Walnussbäume säumen den Weg, Martin und ich passieren die Wasenhütte, an der einst eine Zollstation den Warenverkehr zwischen Baden und Württemberg regelte. 
Ganz ohne Verbal-Scharmützel, denn langsam merken wir Kilo- und Höhenmeter in den Knochen. Am Tannschachberg machen wir an der Drachenflugschanze ein Päuschen: Die Drachenflieger haben eine breite Schneise für ihre Starts freigehauen – perfekt für Wandernde wie uns, die über schlanke Täler, dunkel bewaldete Höhen und Orte wie Gaggenau im Murgtal tief drunten schauen wollen. Nach so viel Aussicht stört 
auch der lange Hatscher auf dem Asphaltsträßchen unter alten Linden und Buchen nach Herrenalb hinab nicht groß. 

Anderntags zieht sich der Weg wieder hinauf – typisch Schwarzwaldwandern. Allerdings 
sanft und immer der Alb nach, die sich hier verträumt durch ein helles Tal murmelt. Heute geben drei bereits etablierte Wege die Richtung vor: Quellenerlebnispfad, Wildkatzenpfad und Westweg. Unsere Schuhe schmatzen jetzt auf herrlich schlängeligen Pfaden über duftenden Waldboden, streifen Wurzeln, überwinden Steine. Infotafeln rund um Wasser, Quellen und auch Wildkatzen lassen uns unsere badischschwäbischen Querelen vergessen. Außerdem brauchen wir unseren Atem fürs Wandern, denn die erste Hälfte der Etappe geht nur hoch, hoch, hoch. 

Schon relativ gegrillt spuckt uns die Route an der Hahnenfalzhütte aus, an der sonn- und 
feiertags die Skizunft Herrenalb Getränke ausschenkt. "Ein paar Schritte von hier", sagt Martin, "gibt es ganz viele Grenzsteine zwischen Baden und Württemberg." Die müssen wir uns anschauen und machen daher einen Abstecher in Richtung Höhengasthaus Teufelsmühle. Tatsächlich ragen wie schiefe Zähne Grenzsteine am Pfad auf, oft 
deutlich sichtbar auf der einen Seite das badische, auf der anderen das württembergische Wappen. "Ich stell mich auf die guud Sait!", sagt Martin und tritt zu seinem diagonal gestreiften Wappen. "Ich auch", kontere ich und beuge mich für ein Handy- Foto zu den schwäbischen Hirschgeweihen hinab. Wir müssen beide lachen. Und setzen versöhnlich unsere Tour nach Rotensol fort. 

Dem Westweg folgen 

Dicke Steinpilze unter Nadelbäumen zeugen vom Regen der letzten Tage, sieben Kilometer weit folgen wir jetzt auf Etappe drei dem Westweg, dem berühmten Fernwanderweg von Pforzheim nach Basel. Am halboffenen Pavillon "Schweizerkopfhütte" liegt uns der ganze Weg nochmals zu Füßen: Unten duckt sich Herrenalb, in der Ferne am Ende des Albtals verbirgt sich Ettlingen im Dunst, der Merkur, seines Zeichens Hausberg von Baden-Baden, grüßt herüber. Martin zuckt die Achseln, zu oft war er schon hier oben. Ich aber verleihe diesem Blick den ersten Platz unter allen Albtal-Aussichten.

Sanft und verträumt folgt der Weg jetzt dem Lauf der Alb. Sportlich lang wie alle anderen ist auch diese Etappe.

Dass man darüber streiten kann, beweist auf der letzten Etappe, die in Waldbronn die Viertagesrunde fast komplett schließt, die Schwanner Warte: Vom Türmchen dort sieht man den Pfälzerwald und das in der Sonne badende, grüne Pfinzgau. Die "Aussichten" ziehen vom Hellen bei Ettlingen ins Dunkle bei Herrenalb und kehren dann wieder ins Lichte zurück, wo Streuobstwiesen oft den Wald ablösen. In meinem Kopf erklingt schon wieder "Das schönste Land in Deutschlands Gau’n …". Das darf doch nicht wahr sein! Bei der SWR1-Hitparade belegte das Badnerlied im Jahr 2024 übrigens Platz 15. Der Hafer- und Bananenblues von Pferdle und Äffle, quasi die inoffizielle Schwabenhymne, Platz 7.